China war und ist die traditionelle Heimat der asiatischen Kampfkünste. Mehr als 2000 Jahre entwickelten und erprobten die Chinesen unzählige Systeme der Selbstverteidigung, die erst seit wenigen Jahrzehnten in allen Teilen der Welt als moderne Formen wie z. B. Karate, Judo, Ju-Jutsu und viele andere geübt werden. (Korea freilich kann die Entwicklung des modernen Taekwon-Do ebenfalls lange in seine Geschichte zurück verfoigen.)
Kurioserweise aber kennt man dennoch in der Welt der Kampfkünste kaum etwas über die Basis der chinesischen Kampfkünste, „Kuoshu“ und/oder „Wu Shu“, die die eigentliche Grundlage aller Entwicklungen sind. China und seine Menschen war und ist dem westlichen Erdenbürger noch immer Rätsel und Geheimnis. Erst in den letzten zehn Jahren hat China, oder vielmehr haben die „drei China“ damit begonnen, sich und ihre Geheimnisse der Kampfkunst dem Westen zu öffnen. „Drei China“ heißt für uns: Rotchina, jenes riesige Reich; ferner die Republik Taiwan sowie eine überall in der Welt, aber vor allem natürlich in Asien verstreut lebende große Zahl von Chinesen, die ihr Heimatland verlassen haben.

Korea und Japan haben vor allem Anteil an der wachsenden Popularität der Kampfkünste in aller Welt. Sie waren die treibenden Kräfte, bis vor etwa zehn Jahren die Chinesen in USA und Hongkong damit begannen, den Vorsprung der beiden anderen Nationen aufzuholen. So ist inzwischen der Name „Kung Fu“ zu einem der bekanntesten aber auch am meisten missverstandenen Begriffe geworden.
Karate, bekannt als die Kunst der „leeren Hand“ (neuere japanische Lesart), kam, obgleich chinesischen Ursprungs, nicht auf direktem Weg nach Japan, sondern über den Umweg Okinawa.
Wir haben in dieser Zeitschrift darüber schon oft berichtet und wollen deshalb hier auf eine Wiederholung verzichten. In diesem Beitrag über die chinesische Kampfkunst können wir nur einen schmalen Ausschnitt vorstellen. Es ist einfach unmöglich, in einer kurzen Abhandlung die unglaubliche Vielfalt der unterschiedlichen Stile und Ausprägungen zu kennzeichnen. Es gibt buchstäblich hunderte verschiedener Boxsysteme, natürlich neben den ebenso zahlreichen Ringervarianten und dem Gebrauch der kaum noch aufzählbaren Waffen.
Es gab eine Zeit, da schien es um die Zukunft dieser uralten Vielfalt von Kampfformen sehr schlecht bestellt. Als im Jahr 1949 die kommunistische Reform in China begann, da überlebte diese chinesische Kunst nur durch einige alter Meister und Studenten, die entweder ihr Heimatland verließen oder bereits – aus weichen Gründen auch immer-in anderen Ländern lebten. Eine Zeitlang schien es so, als wolle sich das kommunistische Rotchina ganz und gar von diesen alten, überlieferten Künsten verabschieden, die nicht so recht in den großen Aufbruch des Landes in die neue Zeit zu passen schienen.
Wu Shu – Quelle der Gesundheit
Als die Regierung Rotchinas jedoch die Körperertüchtigung und Fitness seiner Bürger wieder zu einem nationalen Anliegen erhob, begann eine wirkliche Renaissance, auch der Kampfkunst. Nicht tausende, Millionen Chinesen begaben sich, wie einst, jeden Morgen bei Sonnenaufgang in Gärten und Parks, um ihren Übungen nachzugehen. Freilich zollte man der neuen Zeit auch hier Tribut. Während früher völlige Stille herrschte, so begleitet heute vielfach Marschmusik aus in den Bäumen aufgehängten Lautsprechern die Bewegungen der Übenden. So begann also eine Neubelebung von Tai-Chi Übungen, verbunden mit Formen der großen alten Boxkunst Tai-Chi Chuan.

Welche Zweifel auch immer die Führungselite Rotchinas hinsichtlich der Kampfkünste hatte, die Situation heute hat sich entscheidend verändert. Im Gegensatz zu früher werden diese Kenntnisse
jetzt wieder hochgelobt, in Ehren gehalten und gepflegt und gefördert. „Wu Shu Delegationen“ kamen in offizieller Mission in die USA und nach Europa, vielfach waren diese Vorführungen in Formen des revolutionären Balletts versteckt, für den Kenner jedoch klar erkennbar. Trotz dieser Neubelebung aber kann man im Moment noch Taiwan als die führende Kraft ansehen, die angesehensten Meister leben und lehren dort.
In Übereinstimmung mit dieser großen Neubewegung kam auch eine wahre Flut von entsprechenden Fachbüchern auf den Markt. Und obwohl viele dieser Bücher in Papier- und Druckqualität in keiner Weise den Ansprüchen genügen, die wir hierzulande stellen, so kommt ihnen doch der Verdienst zu, Informationen über seltene und fast unbekannte Stile verbreitet und erhalten zu haben.
Einiges über die Unterschiede
Bevor wir uns der näheren Beschreibung einiger Kampfkünste zuwenden, ist es sicherlich hilfreich, zuvor ein paar Hintergrundinformationen zu vermitteln. Für das ungeübte Auge zeigen sich die chinesischen Formen gegenüber den japanischen und koreanischen Stilen als sehr unterschiedlich.
Das erste, was immer wieder auffällt, ist die gewisse „tänzerische Grazie“ der chinesischen Kämpfer. In dieser Hinsicht haben die Amerikaner ein schwer übersetzbares Wort dafür gefunden. Sie nennen die Darbietungen oft „sophistica-ted“, was man hier vielleicht als „zwar schön anzusehen, aber nicht effektiv“ nennen könnte. Hinzu kommt der Gedanke, dass diese Formen schließlich von einer der ältesten Hochkulturen der Welt entwickelt wurden.

Resultat ist jedenfalls, dass die chinesische Kampfkunst als überfeinert, höchst elegant und Ballett ähnlich qualifiziert wird. Dazu kommt außerdem, und dies unterstützt eine solche Einschätzung noch, dass viele Techniken außerordentlich blumige und romantische Bezeichnungen tragen. Es gäbe viele Beispiele dafür und Erklärungen, war
um die alten Meister solche Definitionen für oft grausame und tödliche Techniken gewählt haben, aber es würde hier zu weit führen, wenn wir uns diesem Thema ausführlich widmen wollten.
Im Vergleich dazu scheinen die Techniken und Formen des japanisch und koreanischen Karate und Taekwon-Do simpel, gradlinig, einfach, brutal, wirkungsvoll. Die Erklärung ist einfach. Die Kunst des Karate kam, wie bereits gesagt, aus Okinawa. Einfache Leute entwickelten einfache Formen der Verteidigung im Kampf ums Dasein, im Kampf um ihr Leben, hier war kein Raum für „blumenreiche“ Ausschmückung.
Deshalb ist es keineswegs überraschend, wenn auch im Westen der Eingang der in Okinawa „erfundenen“ Kampfkunst viel eher stattfinden konnte. Der Westler mit seinem durch ratio bestimmten Denken fand erheblich leichteren Zugang zu diesen strikten Systemen, die noch dazu oft auf großer Körperkraft basierten als zu den esoterischen Künsten Chinas.
Wir kennen die Unterschiede, vor allem auch die rein optischer Art, zwischen „Kung Fu“ und Karate oder Taekwon-Do. Schultern gerade, Tsukis und Geris direkt und kraftvoll zum Ziel, Hüfteinsatz, maximale Muskelanspannung beim Auftreffen, der Angriff erfolgt zumeist nach der Devise „vorwärts und durch“, Seitsteps und anderes gibt es natürlich auch, aber hiervon machen schon wieder eher die erheblich schnelleren, wendigeren und flexibleren Taekwon-Dokas Gebrauch.
Im Wettkampf „flattert“ der Kung Fu Kämpfer um seinen Gegner herum, ständig in Bewegung, sich drehend und wendend, ausweichen, angreifen, vor und zurück, wir alle haben das schon gesehen, sein Bemühen ist es stets, eine Serie von Techniken anzubringen. Geschwindigkeit gilt mindestens ebenso viel wie Genauigkeit der Ausführung und Krafteinsatz.
Wie schon gesagt, gilt dies auch mit Einschränkungen für das optisch faszinierende, wirbelnde Taekwon-Do. Die Verbindung der koreanischen Kampfkunst zur chinesischen Form ist in der Vorzeit eng gewesen, entwickelte sich dann aber doch auseinander. Der Einfluss in der Neuzeit und die Wiederbelebung der koreanischen Kampfkunst erfolgte ebenso über Okinawa und unter dem Einfluss des 2. Weltkrieges. Heute kann man aber in Korea eine völlig eigenständige und höchst erfolgreiche Entwicklung unter Rückbesinnung auf die traditionellen Formen feststellen.
Das wirkliche „Kung Fu“
Anmut und Schönheit der chinesischen Kampfkunst erweckten oft den Eindruck, dass es sich eher um kunstvolle Tänze handele, die zwar schön anzusehen seien, aber ohne Wirkung und Kraft blieben. An diesem Aspekt entzündeten sich immer wieder Kritiken. Andere Vorwürfe waren vor allem, dass die chinesische Form sich in „Katas“ erschöpfe und das freie Kämpfen, die Auseinandersetzung mit dem Gegner scheue.
Alle Karatekas üben, oder sollten das tun, ihre Katas mit dem Zweck, Technik und Kontrolle zur Höchstform zu bilden. Daneben wird, und das immer häufiger, dem Kampf der Vorzug gegeben. In der Tat kämpften die „Kung Fu“-Anhänger weniger, weil man unter anderem bei den Lernenden wegen mangelnder Kontrolle und noch nicht ausgereifter Technik fürchtete, dass es im Training zu ernsten Verletzungen kommen könne.

Andererseits wiederum ist es gerade von den chinesischen Künsten bekannt, dass immer wieder Meister oder Meisterschüler die Besten eines anderen Stiles zu einem Zweikampf auf Leben und Tod herausforderten, einfach um festzustellen, welcher Stil der bessere und wirksamere sei. Dabei war schlichtweg einfach alles erlaubt. Es war der wahre „free style“! Diese Herausforderungen stehen im Gegensatz zum ethischen Grundsatz des Karate, wo die wahre Sinnerfüllung in der Beherrschung von Körper und Geist liegt und die Kampfkunst nicht zum Selbstzweck werden darf, sondern allein dazu dient, zur Anwendung zu gelangen, wenn das eigene oder das Leben eines anderen zu Unrecht bedroht wird. In der chinesischen Kampfkunst gibt es bis heute gelegentlich noch diese Herausforderungen zum ernsthaften Kampf um seiner selbst willen, und den Eingeweihten ist bekannt, dass in Taiwan, in verschwiegenen Ecken von Hongkong oder in den Chinesenvierteln der USA immer wieder ein Kämpfer als Unterlegener auf der Strecke bleibt.
Dem Suchenden im Westen nach wirklicher chinesischer Kampfkunst wird nur wenig wirklich brauchbares geboten, wenn er nicht gerade in USA (Chinesenviertel), London, Hongkong oder Taiwan lernen kann. Ein abschließender wesentlicher Punkt des Berichts sollte nicht vergessen werden.
Kung Fu
Das Wort oder der Begriff „Kung Fu“ bedarf noch einiger Erläuterungen, denn selbst viele Chinesen wissen damit nur wenig anzufangen.
Die frühesten Beziehungen der chinesischen Sprache scheinen nur wenig Beziehungen zu einer Kampfform zu haben. Das Wort „Kung“ bedeutete vielmehr in seiner ursprünglichen Form eine Aufgabe, ein Ziel oder ein Teil einer Arbeit, die getan werden musste. Andere Erklärungen gehen mehr in die Richtung eines Zeitvertreibs oder schlicht des Müßigganges. Andere mögliche Erklärungen weisen in die Richtung der taoistischen Lehre und bedeuten Schutz oder den Weg auf der Basis körperlicher Übung ein gesundes langes Leben zu erreichen. Das Wort Kung Fu erscheint jedoch und auf jeden Fall auch in der Religion des Konfuzianismus. Chinesisch wird der Name Konfuzius ähnlich gesprochen wie Kung-Fu-Tzu.
Wie auch immer die Wortschöpfung zu deuten sein mag, die moderne Interpretation ist eine wesentlich andere. Für viele ist es zum Haupt Synonym für den „harten“ oder „äußeren“ Boxstil geworden. Dazu steht im Gegensatz der „innere“ oder „weiche“ Stil. Die inneren Systeme haben wiederum eine enge Relation zu jenem geheimnisvollen Begriff des „chi“ oder „chi-kung“ (Kl im japanischen). Damit bezeichnen wir die Kraft, die nach vielen Jahren körperlichen und geistigen Trainings aus dem Inneren, Mentalen geschöpft werden könne. Diese Kraft kann nach dieser Deutung erheblich größer sein als alle äußere antrainierte Kraft es je sein kann. Tai chi chuan ist das weitaus bekannteste „innere“ System. Pa-Kua und Hsing I sind ebenfalls sehr bekannt.
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