Das Können eines Spitzenreiters und die Präzision eines erstklassigen Schützen sind unabdingbare Voraussetzungen beim Kampfsport Yabusame, dem japanischen Bogenschießen, das hoch zu Ross durchgeführt wird. Wir befinden uns im 12. Jahrhundert. Dieser stolze Ritter zieht in den Krieg. Er sitzt auf einem edlen Pferd, trägt die eindrucksvolle Kampfausrüstung eines Samurai und ist mit seinem Bogen bewaffnet. So wird er seinen Herrn in einem der schrecklichen Kämpfe verteidigen, die das Mittelalter in Japan kennzeichneten. Er ist der Vorfahre der heutigen Meister des Yabusame.

Für diese tadellose Vorstellung sind Jahre geduldiger und minuziöser Arbeit sowie eine grenzenlose Beharrlichkeit und vor allem eine unvergleichliche Technik erforderlich. Dies sind die Voraussetzungen, die beim Yabusame, der wohl erregendsten Form aller Kampfsportkünste, erfüllt werden müssen. In unserer heutigen Zeit wird diese Kunst der Samurai nur noch von einer kleinen Elite ausgeübt, die es verstand, die Geheimnisse der Reitkunst und des Bogenschießens in dem berühmten Kyudo zusammenzufassen.
Am Ende der langen Sandpiste senkt sich der große mehrfarbige Fächer. An die Stelle des Geschreis der Menge tritt eine Totenstille. In voller Kampfausrüstung stürzt der Ritter inmitten einer Staubwolke auf die Bahn. Der erste Pfeil zischt durch die frische Morgenluft und erreicht sein Ziel mit einer unglaublichen Präzision. Der unbändige Galopp ist jedoch keinesfalls zu Ende. In hundert Meter Entfernung befindet sich die nächste Zielscheibe — und wieder ein Volltreffer. Der Zentaur spannt erneut seinen Bogen und wieder einige hundert Meter weiter trifft der Pfeil zum dritten Mal ins Schwarze.
Nichts hat sich in der Ausübung des Yabusame seit 800 Jahren geändert. Im frühen Mittelalter stand diese Kunst in vollster Blüte. Es war die Zeit der großen Könner, die sich auf den Krieg vorbereiteten, um dort zum Ruhm des Kaisers zu kämpfen. Das Treffen einer Zielscheibe von einem galoppierenden Pferd aus, brachte manchmal die Anerkennung der höchsten Stellen ein und dem Samurai wurde der Titel eines Meisters verliehen. Man erwähnt in diesem Zusammenhang zum Beispiel Kagami Siro, den Vater von Ogasawara Nagakiyo, der bis in unsere heutige Tage berühmt geblieben ist : seine Methode wird zusammen mit der von Heki am häufigsten angetroffen.
Um die Schwierigkeiten zu vergrößeren, übte der Samurai auch mit lebenden oder beweglichen Zielscheiben ; auf diese Weise sollten kriegsähnliche Verhältnisse simuliert werden. Als lebende Zielscheiben wurde sehr oft Hunde ausgewählt. Die Japaner sind wohl ein hartes, aber kein grausames Volk und so achteten sie stets darauf, dass die Pfeilspitze mit einer kleinen abgestumpften Kugel, der Yaviri, versehen war. Das arme verwirrte Tier nahm vor dem furchteinflößenden Zentaur wohl schnellsten Reißaus, lief aber keine Gefahr sein Leben zu verlieren.
Mit dem Ende der Kriege zwischen den Provinzen wurde das Bogenschießen zu Pferd nur noch bei Feierlichkeiten zu Ehren des Tenno (des Kaisers) ausgeübt. Diese Tradition rettete sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, einem Jahrhundert, das von der Technik beherrscht wird und in dem Vorführungen dieser Art noch eindrucksvoller sind, zumal sich alles in der Umgebung eines Tempels abspielt, in dem die Zeit nicht vorgerückt zu sein scheint. Schon in der Morgendämmerung ist der Meister des Yabusame hellwach.
Vorbereitung für den Wettkampf
Seine erste Sorge gilt seinem Pferd. Er prüft, ob es topfit ist, denn von seiner Kondition wird der Verlauf des Yabusame entscheidend beeinflusst. Die geringfügigste Krankheit würde die Reflexe des Tieres beeinträchtigen und die gesamte Präzision, die nach all den Jahren des Trainings erworben wurde, würde dann keine Rolle spielen. Der Meister streichelt sein Pferd und gibt dann dem Stallmeister seine Anweisungen, der zusammen mit neun weiteren Bediensteten dem Meister an diesem Tag zur Seite steht. Die zweite Inspektion gilt seinem Köcher, dem treuen Hüter der Pfeile und Bogen, sozusagen, seiner besseren Hälfte. Alle Ausrüstungen werden genauestem untersucht; der Bogen für die Eröffnung der Zeremonie und die Pfeile werden ausgewählt. Das Gewicht, die Länge und die Verzierungen werden geprüft — nichts bleibt dem Zufall überlassen. Diese Art der Vorbereitung ist auch das Ergebnis der langen Jahre der Praxis. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als sich der Meister auf die Yabusame-Bahn begibt.

Wie der Teilnehmer an einem Reitturnier seinen Parcours zu Fuß besichtigt, so steckt der Meister den vom Morgentau noch feuchten Sand ab und prüft die richtige Einstellung der drei Zielscheiben. Wenn nun alles in Ordnung ist, kann er seine traditionelle Kleidung anlegen, die die gleiche ist, wie sie die Samurai vor Jahrhunderten trugen. Und genauso wie der Matador sich vor seinem Einzug, in die Arena sammelt und zu der Schutzheiligen der Toreros betet, so spricht der reitende Bogenschütze bei dem Tempelpriester vor, der ihm seinen Segen erteilt. Dieses Ritual, das für uns mit Bildern aus längst vergangenen Jahrhunderten verbunden ist, hat die Yabusame-Kunst jedoch vor einer Abnutzung durch kommerzielle Interessen geschützt. Durch die strenge Disziplin wird bei ihr, wie auch bei dem einfachen Kyudo, der geistigen Einstellung ein hoher Steifenwert eingeräumt. Seine Ausübung ermöglicht es, Selbstvertrauen und Entscheidungskraft zu gewinnen. Jeder Pfeil soll nicht nur ein Gegenstand sein, der auf ein Ziel abgeschossen wird, sondern gleichzeitig eine bereichernde Erfahrung vermitteln.
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