Vom Sumo zum modernen Judo. Die vermutlich älteste japanische Nahkampfmethode nennt sich SUMO (Sumafu), was mit „sich wehren“ übersetzt werden kann. Sie hat ihren Ursprung im Norden der heutigen Volksrepublik China, wo bereits nachweislich seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. Ringer-Techniken bekannt sind. Diese hießen CHIAO-TI (Ch’ih-Yu-Hsi) und bildeten sich aus dem älteren und noch heute praktizierten mongolischen Ringen CIL-NEN (Silnem), das auch das koreanische Gürtel-Ringen SIRUM (Cireum) beeinflusste.
Ähnliche Ringermethoden, wie etwa die türkischen Kampfsportarten GÜRESCH (Yagli Güres) und KIRPINAR, aber auch die sowjetischen Systeme HAPSAGAJ, Cl-DAOBA und GJULES, dürften auf die mongolische Urform zurückzuführen sein. (Anmerkung: Die Chou- oder Türken-Dynastie bestand von 1050-256 v. Chr. in China.)

Die „Nihon Kojiki“, eine der ältesten japanischen Chroniken, die 712 n. Chr. abgefaßt wurde, berichtet über Sumo im 3. und 4. Jahrhundert. Die Chronik „Nihon Sho-Ki“ von 720 n.Chr. erwähnt außerdem den ersten Sumo-Wettkampf, der 23 v.Chr. stattgefunden haben soll.
Dieses Sumo galt bis zur Heian-Periode (794 bis 1185 n. Chr.) vornehmlich als religiöser Ritus und das Resultat war die Prophezeiung für die Ernte. Seit dem 10. Jahrhundert hießen diese Kämpfe ohne Waffen CHIKARA-KURABE oder auch SUMO-SUMAU (Kriegssumo), was den Wandel von einer zeremoniell-höfischen Form zur Kriegstechnik verdeutlicht. Sie bildeten die technische Grundlage für das KUMI-UCHI, das ein Kämpfen mit Rüstung ermöglichte und in der Kama-kura-Epoche (1185-1333) für das Schlachtfeld entwickelt wurde. Aber erst in der Azu-chi-Momayamo-Epoche (1568 bis 1616) entstand das heute praktizierte Sumo mit speziell ausgebildeten fettleibigen Ringern (Sumo-Tori). Diese erfreuen sich noch heute der besonderen Gunst des kaiserlichen Hofes, an dem einst besondere Wettbewerbe (Sumo-Sechie) abgehalten wurden. 1623 erteilten die Militärbehörden erstmals die Erlaubnis, auch öffentliche Wettkämpfe mit professionellen Ringern durchzuführen. Das erste Turnier (Basho), wie man es heute kennt, wurde um 1790 in Kyoto ausgetragen.
Heute ist Sumo (Sumo-Do) der führende japanische Nationalsport, obgleich es anhand der Zahl aktiver Sportler weit hinter denen des Judo und Kendo rangiert.
Das Jiu-Jitsu entwickelt sich
Die frühen Methoden des Kumi-Uchi (auch: Samurai-Sumo) diente dem Kampf auf dem Schlachtfeld. Sie waren wenig systematisiert und für ihre Anwendung war ein großes Maß an Kraft erforderlich. Der anfängliche Schwerpunkt bezog sich auf Festhaltegriffe, um einen entwaffneten Gegner gefangen zunehmen. Erst im Zuge des Kulturaustausches zwischen China und Japan in der Yüan-(Mongolen-)Dynastie (1278-1368) veränderte sich der Charakter dieser Nahkampfmethode durch Hinzunahme von Tritt-, Schlag- und Wurfelementen. Diese sind zweifelsfrei chinesischen Ursprungs. In der nachfolgenden Ming-Dynastie (1368-1644) entstanden verschiedene Systeme und Schulen (Ryu), die ein weniger kraftbetontes Kumi-Uchi lehrten. In diese Zeit fällt auch der vermutlich erste größere Kontakt der Okinawa-Bewohner mit den chinesischen Box-Techniken, auf die an anderer Stelle noch ausführlicher eingegangen wird.

Die vermutlich ersten Schulen, die ein systematisiertes Jiu-Jitsu (chinesisch: Chi-Chi-Shu) lehrten, waren die „Take-No-Uchi-Ryu“ (1532) von Misakatsu Takeuchi) und die „Yagyu-Shinkage-Ryu“ (auch Araki-Schule) von Mataemon Araki (um 1550). Insgesamt entstanden bis zum Ausgang der Tokugawa-(Edo-)Epoche (1616-1868) über 170 (!) verschiedene Schulen, die auch den Gebrauch von Waffen lehrten. Denn diese Methoden dienten dem Schwertadel (Bushi) als technische Ergänzung und als Zusatzwaffe: das Jiu-Jitsu (bis zum 18. Jahrhundert unter der Bezeichnung YAWARA oder den Eigennamen einzelner Schulen bekannt) beinhaltet zahlreiche Tritt-, Schlag- und Transporttechniken, Würfe, Hebel und Würgegriffe. Weiterhin Methoden des Fesselns, medizinische und anatomische Kenntnisse aus dem Bereich der Atemi-Waza,) sowie die esoterische Form des Tötens mittels eines Kampfschreis (KIAI-JITSU oder auch TAOTE-NO-JITSU).
Zu den wichtigsten Impulsen, die zur Entwicklung des klassischen Jiu-Jitsu führten, gehörte der Einfluss und die Lehre des chinesischen Box-Experten Chun Yüan-Yün (Shingenbin), der 1659 nach Japan kam und dort drei namhafte Samurai unterrichtete. Diese verbanden ihre Yawara-Techniken mit den neuen Elementen des Chinesischen Boxens, wobei jedoch ein spezieller Kung Fu-Stil nicht mehr zu klassifizieren ist. Sicher ist, dass einer der Samurai, Miura Yojie-mon (Yoshimitsu) in der Folgezeit in Shy-Koka, einem Tempelbezirk in Edo (dem heutigen Tokyo), die legendäre „Shinto-Yoshin-Ryu“ (Weidenherz-Schule) gründete. Sie wurde von Großmeister Masutoshi Inone geleitet.
Einen nicht weniger bedeutsamen Beitrag lieferte die Samurai-Familie Mitoshi (Mitose), die um 1700 in China die dortigen Box-Techniken studierte und später die „Koshu-Ryu“ gründete. Diese ist jedoch in ihrer Gesamtheit aber mehr dem OKINAWA-TE der Ryu-Kyu-Inseln zuzuordnen, das im 19. Jahrhundert ebenfalls durch chinesische Einflüsse entstanden war. Auch wird allgemein in Fachkreisen der Bezeichnung KENPO (Faustkunst) Vorrang gegeben.
Die Ursprünge des Aikido
Nach einer japanischen Überlieferung soll Prinz Teijin bereits im 9. Jahrhundert n.Chr. eine spezielle Form des Nahkampfes entwickelt haben, aus der wiederum der japanische General Shinra Saburo Yoshimitsu um 1200 ein System entwickelte, das starke Impulse durch die chinesische Box-Methode TAI-CHI-CH’UAN erhalten hatte. In Verschmelzung mit den damals bekannten Kumi-Uchi-Techniken bildeten sich die wesentlichen Merkmale dieses Systems heraus, das als DAITO-RYU AIKI-JITSU bekannt wurde: schwungvolle Hebelund Wurftechniken und die Betonung der richtigen Distanz zum Gegner (Ma-Ai).

Yoshimitsus Sohn Yoshikiyo verbesserte das Daito-Ryu Aiki-Jitsu weiter, in dem er der Koordination von Augen und Körperbewegungen mehr Aufmerksamkeit schenkte.
Im 14. Jahrhundert erhielt das erneuerte aber auch ständig in Veränderung befindliche System die Bezeichnung AIZU-TADOME, womit auch zugleich der Wohnort der Samurai-Familie Takeda gemeint war, die diese Schule förderte und die Kampfkunst-Tradition bis in die heutigen Tage überlieferte.
Der Weg der Harmonie
Zu den bedeutendsten Schülern des Aiki-Jitsu gehörte Morihei (Moritaka) Uyeshiba (1883-1969), der bei Sogaku Takeda die Techniken der „Daito-Ryu“ (Daito-kan) studierte. Doch letztlich entsprach diese Methode nicht seiner Philosophie, da die Kampfsysteme für ihn mehr bedeuteten, als nur ein Mittel zur Überwindung des Feindes. Geprägt durch die shintoistisch-taoisti-sche Glaubenslehre der Omote-Sekte und dem Bewusstsein, daß die Kampfkünste nicht nur mit körperlicher Kraft zu tun haben, sondern ein Weg (DO) zur Vereinigung von Körper und Geist (Ki) darstellen, kreierte Uyeshiba eine neue Methode, die seiner Vorstellung von spiritueller und körperlicher Harmonie (Ai) erfüllte. Er nannte seine neue Lehre AIKIDO, der Weg der Harmonie.

Interpretation
Im Jahre 1925 eröffnete Uyeshiba seine erste Schule, das Kobukan-Dojo in Tokyo, von dem seine Lehre nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit verbreitet wird. Zu den führenden Experten nach Uyeshibas Methode, dem „Aikikai“, gehören die Meister Michiko Hikitsu, Tadashi Abe, Nobuyoshi Ta-mura, Uyeshibas Sohn Kissho-maru und der in der Bundesrepublik Deutschland lehrende Katsuaki Asai.
Andere Meister, die viel zur 1 Verbreitung des Aikido beitrugen, interpretierten Uyeshibas Lehre aber anders, variierten die Methode, doch behielten sie alle die Grundprinzipien bei. Meister Minoru Hirai entwik-kelte das System „Kolindo“, Gozo Shioda das „Yoshinkan“, I Koichi Tohei das „Shin-Shin-To-Itsu“, Kenji Tomiki das „To-miki-Aikido“, Meister Noro das „Ki-No-Michi“, Kenji Shimizu (langjähriger Trainer der Sektion Aikido im Deutschen Judo-Bund) das „Tendo-Ryu“, sowie
Yoshimitsu Yamada das nach ihm benannte „Yamada-Aikido“.
Niedergang und Neubeginn
Bis zum Ende der Toku-gawa-Epoche (1616-1868) besaßen die Künste des BU-JITSU einen hohen Stellenwert, insbesondere als Teil der bereits genannten Samurai-Ausbildung. Dabei schien es äußerst wichtig, dass die grundlegenden Prinzipien eines Kampfsystems oder einer Schule geheimgehalten wurden, denn der Überraschungseffekt im Kampf war unentbehrlich. Ihre Weitergabe erfolgte oft nur an Familienangehörige oder an einen engen Kreis ausgewählter Mitglieder einer Schule. Dieses geschah nur mündlich oder in Form von geheimen Schriftrollen (Hiden; auch: Bezeichnung für die höchste Lehrstufe in den Kampfkünsten neben Shoden und Okuden), die an das jeweilige Oberhaupt (Soke) überreicht wurden. Diese ,Erben“, vielfach auch Angehörige des NIN-JITSU oder der Yama-bushi (Kriegermönche), trugen erheblich dazu bei, daß die japanischen Kriegskünste ein hohes Niveau erreichten und über Jahrhunderte bewahrt werden konnten.
Doch gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, als Japan seinen Modernisierungsprozeß durchlief, alles Traditionelle verdrängt wurde, verloren die Kampfkünste ihre Bedeutung. Die zahlreichen Schulen verschwanden fast völlig oder führten nur noch ein Schattendasein. Die damalige Generation und die Meister des Bu-Jitsu interessierten sich nur noch für die europäischen und amerikanischen Wissenschaften.
Zu diesem Zeitpunkt machte der deutsche Medizinprofessor und Anthropologe Dr. Erwin O. E. Bälz, der an der medizinischen Fakultät der Kaiserlichen Universität Kyoto lehrte (von 1870-1892), seine Studenten auf das alte Jiu-Jitsu aufmerksam, das er durch den Polizei-Ausbilder und Meister Hiko-suke Totsuka kennengelernt hatte. Bälz erkannte sofort die ausgewogene körperliche Beanspruchung und die erzieherischen Werte der alten Kampfkunst-Methode. Er selbst ging als gutes Beispiel voran und unterwarf sich einem eifrigen Training. Einer seiner Studenten, der seinem Aufruf folgte, war Jigoro Kano (1860-1938). Dieser beschränkte sich aber nicht darauf, das alte Jiu-Jitsu einer Schule zu lernen, sondern nahm bei mehreren Meistern Unterricht. Von den Experten Masatomo Iso und Hachino-suke Fukuda, die am Kaiserlichen Institut für Kriegskünste lehrten, wurde Kano in die Geheimnisse des „Tenjin-Shinyo-Ryu“7) eingeweiht, durch Meister Tsunetoshi Ikubo erhielt er Einblick in den Stil der legendären „Kito-Ryu“.8) Doch beide Richtungen betonten die technischen Prinzipien, wobei die körperliche Auseinandersetzung im Vordergrund stand und ausschließlich für das Schlachtfeld konzipiert war. Jigoro Kano wollte jedoch besonders die geistige Grundlage, die Ausbildung des Geistes betonen. Die rein technische Kunst (Jitsu) sollte einer philosophischen Kunst (Do) weichen. Vergleiche hierzu Uyeshibas Aikido-Prinzip im Kapitel „Der Weg der Harmonie“. Kano reformierte deshalb die alten Jiu-Jitsu-Techniken, entwickelte neue Konzepte und Elemente und gab seiner neuen Methode einen ethischen Überbau. Das Judo war geboren.
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