Karate als Selbstverteidigung

Der Zulauf in die Karate-Dojos der Budo Kampfsport Akademie hält an. Dies ist kein Zufall, sondern u. a. auch in der Tatsache zu sehen, dass wir täglich mehr und mehr mit Brutalität und Gewalttätigkeit konfrontiert werden und Karate jedermann die Möglichkeit bietet, sich nicht nur fit zu halten, sondern nebenbei etwas ganz Brauchbares zu erlernen: Nämlich eine handfeste Selbstverteidigung.

Können diese Erwartungen erfüllt werden?
Nun, enttäuscht werden alle sein, die meinen, ein ein- oder zweimaliges Mitmachen genügt, um einige „Tricks” zu erlernen und damit „unschlagbar“ zu werden. Nicht enttäuscht werden dagegen alle diejenigen sein, die bereit sind, ernsthaft zu trainieren und an sich zu arbeiten.

Was ist zu tun?
Zunächst einmal bleibt festzustellen, dass über das Thema Selbstverteidigung viel Unsinn geschrieben und geredet wird. Dazu gehört das unverständliche Versprechen mancher „Systeme”, dass es mit deren Hilfe auch einem Schwachen möglich sei, einen Starken zu besiegen. Das wäre in der Tat ein Wunder, denn noch nie hat ein Schwacher einen Starken besiegt. Selbst David war bewaffnet, als er Goliath erledigte.

Es folgt dann die bekannte Diskussion, was denn nun besser ist, Karate oder Boxen, Ringen oder Judo, oder ist vielleicht doch TKD das Ideale? Oder Kung-Fu? Von dem man so tolle Szenen in Film und Fernsehen sieht, und es endet dann bei der Frage, was passiert, wenn jemand von einem Boxer, Ringer, Judoka o. a. angegriffen wird.

Die letzte Frage ist schnell geklärt. Das ist so selten, wie ein Sechser im Lotto, aber auch in diesem Falle wird sich ein geschulter Karateka erfolgreich zur Wehr setzen können. Alle Kampfkünste bieten selbstverständlich ein hohes Maß an Selbstverteidigung.

Hier soll versucht werden, die Möglichkeiten des Karate als Selbstverteidigung in leichtverständlicher Form darzulegen. Um es gleich vorweg zu sagen: Karate ist nicht nur Kampfsport, sondern auch Selbstverteidigung – und zwar unbestritten eine der effektivsten und unkompliziertesten und deshalb besonders wirkungsvollen. Es ist der Schandfleck der heutigen Karate-Szene schlechthin, wenn man diese Tatsache aufgrund anderer unwichtiger Diskussionen vergisst und dieses Feld anderen Kampfkünsten sozusagen kampflos überlässt.

Vielleicht eignet sich die karatemäßige Selbstverteidigung nicht so sehr für spektakuläre Show-Effekte wie andere Disziplinen, aber das kann höchstens ein Vorteil sein. Eine Selbstverteidigung soll ja nicht auf Extrem-Fälle, theoretisch konstruierte Situationen oder andere Planspiele eingestellt sein, sondern auf die harte Wirklichkeit, und das heißt schlicht und einfach Straßenkampf, Abwehr von Schlägern u. ä. Deshalb sollen auch die Grenzen der Selbstverteidigung klar gezogen sein.

Grenzen der Selbstverteidigung
Wenn jemand einen anderen unbedingt umbringen will, so wird er dies auch tun. Gelingt es nicht mit Axt oder Pistole, so wird er sein Vorhaben auf andere Art ausführen. Vielleicht mit Gift. Dagegen hilft keine Selbstverteidigung. Das ist die eine Grenze. Andererseits sollte niemand eine Schlägerei anfangen, weil er beispielsweise als „Narr” o. ä. beschimpft wurde. Wer das tut, ist wirklich einer. Das ist die andere Grenze.

Was ist beim Karate-Training unter dem Aspekt der Selbstverteidigung zu beachten?
Um die Fakten etwas verständlicher zu machen, muss hier etwas weiter ausgeholt werden. Bruce Lee ist nicht nur deshalb als das größte Genie in die Analen der Kampfkünste eingegangen, weil er ein exzellenter Kämpfer und Techniker war, sondern weil er uns neue Wege aufzeigte, von denen man zuvor nicht einmal zu träumen wagte (ein Beethoven der Kampfkunst also!). Und kein geringerer als er sagt uns, dass man nur im Kampf realistisch trainieren und Erfahrungen sammeln kann.

Das soll natürlich nicht heißen, dass jeder, der sich einem Karate-Dojo anschließt auch an Wettkämpfen teilnehmen muss. Es geht hier lediglich um das wettkampfmäßige Trainieren, das mit den heutigen Sicherheitsausrüstungen auch ganz ängstliche Naturen mitmachen können. Es heißt aber andererseits auch nicht, dass sich jedermann aufs Parkett stellt und kämpft, denn Grundschule muss sein. Sie bildet die Grundlage für die späteren Techniken, genauso wie das Buchstabenmalen der ABC-Schützen in der Schule, die Basis für das spätere Schreiben bildet. Man stelle sich einen Journalisten oder Schriftsteller vor, der das nicht getan hätte.

„Aber lernen heißt nicht nachahmen und es bedeutet auch nicht Schulwissen aufzunehmen und weiterzugeben. Lernen heißt stets und ständig zu entdecken.” (Bruce Lee).
Und stets und ständig entdecken kann man nur beim Kampf. Seine eigenen Qualitäten. Seine Mängel. Auch seine eigenen Unzulänglichkeiten, die man unentdeckt nicht abstellen kann. Eine der größten Charaktereigenschaften des Menschen ist das Entdecken und Bekämpfen seiner eigenen Unzulänglichkeiten.

Es würde den Rahmen dieser Darstellungen sprengen, hier gezielte Trainingshinweise zu geben. Man sollte aber auch dabei einmal eingefahrene Gleise, wenigstens versuchsweise, verlassen. Z. B. von der Vorstellung ausgehen, dass eine 1,60 m große und 50 kg schwere Büroangestellte den Angriff eines 1,80 m großen und 100 kg schweren Schwerstarbeiters abzuwehren hat. Heute leider fast etwas ganz alltägliches. Man wird mehr oder weniger erstaunt feststellen, dass einige Selbstverteidigungs-Techniken plötzlich ganz anders zu bewerten sind. Auch von dieser Überlegung her kommt ein Kampftraining der Praxis am nächsten. Nur dieses kann auch aus einem schüchternen Anfänger eine seelisch und körperlich robuste Person machen, die für eine erfolgreiche Selbstverteidigung nun mal notwendig ist.

Vorgezeichnete Griffe oder einstudierte Kombinationen nützen nichts. Im Gegenteil, sie blockieren im Ernstfall die eigenen Intuitionen. Auch Abwehrtechniken die einem Prüfer oder Kampfrichter gefallen sollen, sind unnütz. Ebenso wie die meisten Demonstrationen, die nur als Show zu betrachten sind. Schön aber nutzlos.

Worauf es ankommt, ist die Modifizierung der im Karate mehr als reichlich vorhandenen einfachen, knallharten und somit effektiven Techniken für die Selbstverteidigung. Wenn sich dann der so interessierte Karateka noch mit der Fallschule befasst – was nützt die beste Selbstverteidigung, wenn man beim ersten Schlag, den man vielleicht auch einmal einstecken muss, liegen bleibt – so hat er ein unüberwindliches Repertoire. Er wird stark sein. Und nur ein Starker kann siegen! Die Abwehr bewaffneter Angreifer erfordert besonderes Vorgehen. Pistolenangriffe sollten – wenn überhaupt – nur von vorn abgewehrt werden. Alles andere ist falsch.

Bei Stichwaffen dürfen keine Wurftechniken eingesetzt werden, da diese zu Selbstverletzungen führen können. Primär ist immer der Angriff zunächst wirkungslos zu machen. Es steht außer Zweifel, dass der Einfluss des Kontakt-Kampfes auch der karatemäßigen Selbstverteidigung neue Impulse geben und neue Erfahrungen und Erkenntnisse bringen wird.

Wie weit kann die Selbstverteidigung im Ernstfälle gehen?
Bei Angriffen auf Leben und Gesundheit grundsätzlich bis zur Kampfunfähigkeit des Angreifers. Die Einhaltung der Notwehrbestimmungen ist zu beachten, ebenso die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Ein Festhalten der Hände z. B. darf nicht mit einem Handkantenschlag zur Halsschlagader beantwortet werden.

Der Wert einer sicheren Selbstverteidigung beruht zweifellos auch auf einer psychologischen Überlegenheit. Ein gesundes Selbstbewusstsein sollte jedoch nicht dazu führen, den Gegner zu unterschätzen. Jemand der einen Angriff bewusst plant – und das sind die gefährlichsten Angreifer – ist voll konzentriert, voll Spannung, Dynamik, Entschlusskraft und Aufmerksamkeit und auch auf Gegenattacken eingestellt, ja er erwartet sie sogar und hat sie einkalkuliert.

So ein Gegner ist nicht durch einen Nasenstüber oder durch Anschreien zu überlisten. Niemand lasse sich durch derartige Märchen zum Leichtsinn verführen! Aber ein Angriff kommt fast nie aus heiterem Himmel. Immer hat sich vorher etwas ereignet. Für eine erfolgreiche Selbstverteidigung ist ja deshalb auch immer das „Vorfeld” des Geschehens im Auge zu behalten, damit im richtigen Moment eingegriffen wird.

Zusammenfassung.
Nachdem sich Karate aus seinen jahrelangen Zwängen befreit hat, sollte man der karatemäßigen Selbstverteidigung, dem entscheidenden Bestandteil dieser Budo-Disziplin, wieder die gehörige Aufmerksamkeit widmen. Die Techniken reichen aus. Nicht Quantität, sondern Qualität muss entscheiden. Keine Verwässerung durch andere Systeme, sondern nur die Nutzung des Vorhandenen ist sinnvoll. Es liegt auf der Hand, dass sich dann noch weitere ungeahnte Perspektiven für Karate auftun werden.

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