Als „sanfte Kunst“ wurde Jiu-Jitsu in Deutschland bekannt. Jiu-Jitsu kann l als eine Abwehr gegen einen Angriff unter Ausnutzung der Hebelgesetze, der Kenntnis der Anatomie (Lehre vom Körperbau) in Bezug auf die Schwachstellen des menschlichen Körpers und der Psychologie ( Wissenschaft vom Seelenleben), bezogen auf die Verhaltensweisen des Menschen beschrieben werden.
Seit Menschen auf dieser Erde leben, gibt es auch den Kampf. Und wo gekämpft wird, übt man die Verteidigung. Die älteste Überlieferung darüber fand man als Wandgravierung in ägyptischen Königsgräbern. Der japanische Arzt Akyjama Shirobei Yoshitoki erlernte in China bei Haku-tei erstmals die Kunst des waffenlosen Zweikampfs. Er kehrte nach Japan zurück und stellte bald fest, dass zur wirkungsvollen Ausführung des gelernten „tes“ (Griffe) eine große Körperkraft eingesetzt werden musste.
Siegen durch Nachgeben
Eines Abends beobachtete er während eines starken Sturmes zwei Bäume, einen Kirschbaum und eine Weide. Durch den Sturm brachen die starken Äste des Kirschbaumes und wirbelten wie kleine Pfeile durch die Luft. Die Weide, die in unmittelbarer Nähe stand, bog ihr dünnes Astwerk geschmeidig bei jedem Windstoß, um dann unbeschädigt in ihre Ausgangsposition zurückzuschnellen. Durch diese Beobachtung aufmerksam gemacht, kam Akyjama Shirobein Yoshitoki auf die Idee, ein Kampfsystem zu entwickeln, bei dem der Schwache „durch Nachgeben siegen könne“.

Er zog sich nach dieser Beobachtung 100 Tage in den Tennango-Tempel in Tsukushi zurück und entwickelte dort, von den Kenntnissen der Anatomie und Psychologie ausgehend, 103 „tes“ (Griffe). Ferner erforschte er die Möglichkeit der Reanimation (Wiederbelebung) „Kassei-ho“, die er au1 28 erhöhte. Denn er war sicherlich der Ansicht: „Wer töten kann, muß auch in der Lage sein, Leben zu erhalten.“
Nun erst gründete er eine Schule, die „Yoshin-ryu“, d. h. „Weidenherz-Schule“, da ihn doch die geschmeidige Weide auf den Gedanken gebracht hatte. Das Grundprinzip seines Kampfsystems war „Nachgeben, um siegen zu können.“ Hiermit steht wohl fest, dass der gegenwärtige Stand des Jiu-Jitsu ausschließlich japanischen Bemühungen zu verdanken ist.
Jiu-Jitsu ist nichts für „Racheengel“
Das Studium des Jiu-Jitsu ist kein Blitzkursus, an dem man schnell mal einige Monate teilnimmt, weil der „Böse Nachbar“ einem seit zwei Monaten immer das Spülwasser über den Zaun schüttet, oder weil man glaubt, sich gegen den Ehemann der „Freundin“ erfolgreich verteidigen zu müssen, oder weil ein Schüler, der Prügel von einem seiner Klassenkameraden bezogen hat, nun meint, sich in drei Monaten „fürchterlich an Schulze rächen zu können“.

Wer aus dieser Motivation heraus oder ähnlich niederen Beweggründen das Studium der sanften Kunst erlernen möchte, oder welche Kampfsportart auch immer, sollte um jede Kampfsportschule oder jeden Verein einen großen Bogen machen, weil sie keiner als Schüler haben will.
Welche Grundeinstellung sollte man mitbringen
Ein bekannter japanischer Schriftsteller, der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts lebte, schrieb über Jiu-Jitsu folgendes: „Ein Jiu-Jitsu-Schüler sollte: 1. bei einem erfahrenen Lehrer lernen, 2. nicht eitel oder überheblich sein, 3. fortwährend üben und gewissenhaft den Anleitungen seines Lehrers folgen, 4. sich vor Alkohol und sonstigen Drogen hüten, 5. nicht dem Geld verfallen sein und 6. geschlechtliche Unsittlichkeit verabscheuen.“
Als Begründung hieß es: „Der Wille des Schülers sollte über den Körper herrschen, und Hände und Füße sollten seine Diener sein.“
Was es heißt, Jiu-Jitsu-Schüler zu sein
Jiu-Jitsu lernt man nie aus, und man kann diese Kunst bis ins hohe Alter ausüben. Ein bekannter Jiu-Jitsu-Lehrer, Iso Matayemon Yanagi Sekizai Minamoto-no-Masatori, praktizierte diese Kunst in seiner Tenchin Shinyo-ryu-Schule bis zu seinem Tod im 98. Lebensjahr. Man bleibt also ein „Ewiger Student“. Aber gerade darin liegt für viele der Reiz.
Der Weg zum Ziel der waffenlosen Kunst
Um das Ziel im Jiu-Jitsu erreichen zu‘ können, ist ein ordentlicher Umgang mit dem Partner sowie Geduld, Einfühlungsvermögen und das „Miteinander“ zu erlernen. Ferner sollte man die „Prinzipien“ jeder einzelnen Technik genauestens studieren. Erst viel später, sofern die erworbenen Techniken herangereift sind, kann man sich seinen Partner auch als Gegner vorstellen und aus jeder Angriffssituation die richtige Selbstverteidigungstechnik anwenden.
Fehleinschätzungen, vor denen man sich hüten sollte
Besonders kritisch wird es für einen Schüler, sofern er schon einen höheren Gürtelgrad erreicht hat und unter Aufsicht seines Senseis (Lehrers) Anfänger, deren Bewunderung er sicher sein kann, trainieren darf, aber für seinen Sensei immer nur der Schüler bleibt, der Fehler macht.
Ein Schüler sollte zuerst lernen, folgenden Satz zu verstehen: „Wer mir schmeichelt, ist mein Blender – wer mich kritisiert, ist mein Sensei.“ Für einen Anfänger sind die Techniken des Fortgeschrittenen natürlich „toll“, und er bewundert ihn – er ist sein Blender! Denn seine Bewunderung macht den Fortgeschrittenen zufrieden und blind für die Erforderlichkeit, weiter zulernen. Manch einem fortgeschrittenen Schüler geht die Kritik, die zum Unterricht gehört, auf die Nerven. Er will sich von seinen eingeschlichenen „kleinen Fehlern“, wie er meint, ungern trennen. Er glaubt, nun „lange genug“ studiert zu haben.
„Lernen ist wie schwimmen gegen den Strom. Wenn du aufhörst zu schwimmen, treibst du zurück.“