Rein subjektiv sind die folgenden Thesen eines Karatesportlers, der sich dem traditionellen Karate zugehörig fühlt. Die Thesen sind bedingt durch die Biographie des Verfassers!
Karate These 1:
Die Karate-Ausbildung ist zu technisch orientiert. Die Ausbildungs- und Prüfungsrichtlinien der verschiedenen Verbände, zeichnen sich durch Konzentration auf rein technische Details aus.
Trotz mancher Unterschiedlichkeiten wie z. B. in der Ausführung von Katas, gibt es ziemlich genaue Beschreibungen, wie ein mawashi-ge-ri oder ein gyaku-zuki auszusehen hat. Zum Zwecke der Vereinheitlichung und des Festschreibens des Shotokan-Karate sind diese Schriften sicher nützlich und erfüllen so ihren Zweck. Ebenso erscheinen mir die Lehrgänge mit Spitzen-Ka-ratekas als Trainer lehrreich und sinnvoll. Aber letztendlich dienen diese doch nur dazu, den einzelnen Karateka technisch in Kihon, Kata und Kumite weiterzubringen. Diese einseitige Verlagerung auf körperbezogenes Training zieht aber Nachteile mit sich.
Karate These 2:
Der (die) Karateka muss (müssen) den Dualismus von Körper und Geist besser kennenlernen. Die recht theoretisch klingende Forderung ist im Grunde eine Folge der historischen Entstehungsbedingungen der Budosportarten im Allgemeinen. Die unter These 1 angesprochene Zentrierung auf die Karate-Technik in der Ausbildung war historisch nie Zweck, sondern immer nur Mittel der Ausbildung zum Budosportler.

In den verschiedenen Prüfungsordnungen für höhere Dan-Grade treten ab und zu Forderungen nach theoretischen Arbeiten auf. Die Frage ist, warum nicht schon von höheren Kyu-Graden und den niederen Dan-Graden verlangt wird, über die wichtigsten historischen und philosophischen Zusammenhänge bezüglich des Karate ein Basis wissen zu haben. Voraussetzung dazu wäre es natürlich, die Ausbildung dementsprechend auf dieses Feld auszuweiten. Warum gibt es nicht in Verbindung mit den reinen Technik-Lehrgängen abschließend ein Referat über diese Themenbereiche? Dann wäre der ewige Hinweis, dass es ja eigentlich Karate-Do, und nicht nur Karate heißt, endlich gerechtfertigt.
Karate These 3
Das Do hat heute nur noch Alibifunktion. Eigentlich ist das Do für den jungen Karateka gar nicht existent. Nach einigen Jahren (oder bei hohem Drang zu lesen schon früher) stößt er allmählich auf die Inhalte, die den Budosport ja angeblich von anderen Sportarten unterscheiden soll.
Der erfahrene Karateka wird, wenn hellhörig, oft das Do als Grund für die Ablehnung des „Plastik-Karate“ vernehmen. Dieses fehle nämlich diesen „Sportlern“. Ich selbst kann mich für das Kontaktkarate auch nicht mehr begeistern, frage mich aber, wo denn die Unterschiede zwischen dem traditionellen und dem „neuzeitlichen“ Karate eigentlich liegen. Der traditionelle Karate Shotokan-„Stilist“ (Shotokan versteht sich selbst ja nicht als Stil) hat nach meinen Beobachtungen nur kein Plastik um die Gliedmaßen. Und in den Einstellungen der Kämpfer kann man keine Unterschiede feststellen.
Karate These 4
All zu viele sehen den Sinn des Karate im Sieg über Andere. Hier fallen eine Menge überlieferter Sprüche ein, in denen deutlich werden sollte, dass der Sieg über sich selbst eigentlich das oberste Ziel des Karate sei. Betrachtet man hingegen Turniere auf jeglicher Ebene, so muss man einen anderen Eindruck bekommen: Kämpfer wie Betreuer verlieren Oft an Beherrschung und missachten den Gegner in unaussprechlicher Weise.

Nicht selten ist der um Objektivität ringende Kampfrichter Opfer der Aggressionen, auch derer von Zuschauern, für die die Karatekämpfe (beim Vollkontakt wohl am meisten) eine Art Gladiatorenkämpfe sein müssen. Eine Folge davon sind eine Reihe von Verletzungen, die aber scheinbar schon einkalkuliert sind. Diese unnötigen Folgen sind aber nicht nur durch die Forderung nach IPPON-Karate zu vermeiden, eine gehörige Portion Erziehung von Trainern und Trainierten gehört wohl auch dazu. Zudem sollte die Kampfrichterausbildung verbessert werden.
Karate These 5
Die Kampfregeln sind zu schwammig und den meisten Kämpfern nur teilweise bekannt. Auch bei einem guten Kampfrichterreferenten bleiben die Interpretationsspielräume noch zu groß. Oft verwenden erfahrene Kampfrichter noch Kommandos, obwohl schon seit Jahren dieses Kommandos außer Gebrauch sind. Die Zeitnehmer wissen gar nicht, was sie tun sollen, bei diesen antiquierten Anweisungen- Ja, es gibt sogar Kampfrichter, die verschiedene Arten und Qualitäten von hansoku-chui kennen wollen.
Aber die Aus- und Weiterbildung der Kampfrichter kann man sicher leichter verbessern, als dem einzelnen Kämpfer in den Vereinen die Kampfregeln näherzubringen. Es gibt nicht wenige Kämpfer, die sich durch eine Kampfrichterentscheidung ungerecht behandelt fühlen, dies ist aber nur Folge der Unwissenheit des Kämpfers. In der Kampfrichterausbildung sollten tatsächlich vorgekommene Grenzfälle schriftlich fixiert werden und allen zur Verfügung gestellt werden, um mehr Klarheit zu schaffen.
Karate These 6
Karate sollte nicht olympische Sportart sein! Karate verliert dadurch endgültig seinen letzten Rest an Mystik und es setzen sich die Tendenz der totalen Technik-Zentrierung gänzlich durch. Eine Lehre war doch die Anerkennung des Judo als olympische Disziplin. Die Ästhetik dieser ja Ursprünglich so eleganten Sportart findet man nur noch vereinzelt bei Prüfungen der höheren Dan-Grade, wenn man mal eine technisch perfekte Judo-kata sehen kann.

Ansonsten siegt beim Judo der Stärkere und nicht der technisch bessere. Man weiß ja gar nicht mehr, wo die Spitzentrainer und -funktionäre das Recht hernehmen zu sagen, Karate und Judo seien alte japanische Kampfsportarten. Diese sind doch schon längst europäisiert (auch in Japan) und dem totalen Leistungsprinzip unterlegen.
Karate These 7:
Der junge Karateka erlebt die Spitzentrainer als unnahbare Götter in Weiß. Das Gebaren einiger führender Trainer lässt die Diskrepanz zwischen Spitzen- und Breitensport nur noch größer werden. Buddha sei Dank gibt es ja da noch Ausnahmen. Die Autoritätsgläubigkeit ist aber doch manifest verankert. Nicht die Sache zählt, sondern was jener oder der andere als führende Persönlichkeit mal sagte. Aber Autorität ist nicht zu übertragen, Macht dagegen schon eher. Autorität ist etwas positives, der autoritäre Trainer nicht die zwingende Folge davon. Aber viel schlimmer ist es ja bei den Funktionären.
Karate These 8:
Der Karatesport krankt an einem Krebsgeschwür: seinen Funktionären. Sie sind gänzlich unnahbar, vergessen ihre eigenen ersten Fußstapfen als Anfänger und verlieren den Kontakt zu den Sportlern. Andererseits sind sie notwendig, opfern viel an Freizeit, aber Dank dürfen sie nicht erwarten. So ist der Lauf der Welt. Aber gerade im Karate gibt es so viele Bundesvorsitzende, Bundestrainer u. a. (wer hat eigentlich wem etwas zu sagen?), dass ein Durchblicken zur Kunst ausartet. Der Sportler müsste eigentlich schon längst für einen Verband für traditionelles Karate sein, es sei denn, er ist von seinen Funktionären verblendet, aber die Funktionäre haben Angst. Angst vor Macht Verlust. Die Funktionäre wollen ihren Brei weiterrühren und sich nicht an einen Tisch setzen. Sportliche Argumente im Vordergrund übertünchen die wahren Gründe des ewigen Verbands-Streits: dem Machtbewusstsein der Funktionäre!
Subjektiv. Rein subjektiv sind diese Karate Thesen. Sollte falsch sein-um so besser. Stimmt es einige nachdenklich – ist das Ziel erreicht!
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