Im Frühjahr 1989 beschloss das Sekretariat des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR, Karate als Sportart in den DTSB aufzunehmen. Organisatorisch wurden die Karatekas dem Deutschen Judo-Verband der DDR angegliedert, dessen ehemaliger Präsident, Gerhard Lehmann, also auch Präsident der Karate-Sektion sein sollte.
Damals eine schlichte Meldung aus der Welt des Sports. Und doch eine außergewöhnlich bedeutungsvolle Meldung – aus zwei Gründen. Erstens deutet sich in der DTSB-Entscheidung eine Trendwende für den gesamten DDR-Sport an. Um eine ganze Reihe von Disziplinen stets auf höchstem Weltniveau präsentieren zu können, hat die ehemalige DDR manch andere Sportart jahrelang nahezu ignoriert. Besonders die teuren Mannschaftssportarten, wo zu einem einzigen Turnier mit einem einzigen möglichen Titelgewinn gleich immer ein Tross von 20 und mehr Personen reisen muss, waren dem DTSB ein Problem. Am Fußball kommt man nicht vorbei, Handball Made in DDR war zu erfolgreich, um zu sparen, Eishockey musste mit nur zwei Clubs auskommen, die untereinander in X-Begegnungen den Meister ausspielen. Aber Basketball, Hockey, Wasserball leistete man sich lieber nicht.
DDR eine Sport-Großmacht
Was im übrigen nicht nur am Geld lag, sondern auch an der Bevölkerungszahl: die DDR mit ihren 17 Millionen Einwohnern zählte zu den Sport-Großmächten und brachte es auf eine ähnliche Fülle von Erfolgen wie die USA oder die UdSSR, die aus einem Reservoir von 280 Millionen Einwohnern schöpfen konnten. Um nicht bei der Schaffung großer Breite an Schlagkraft an der Spitze einzubüßen, hatte man in der DDR stets genau überlegt, welche Sportarten man anbieten und vor allem fördern soll, und welche nicht.

Dass es ausgerechnet damals die Karatekas geschafft haben, zumindest einmal offiziell anerkannt zu werden, lag daran, dass eine beträchtliche Anzahl von Individualisten diese Sportart auch in der DDR schon längst betrieben hat. Und es lag daran, dass sich auch in der DDR nicht mehr alle Jugendlichen mit traditionellem Leistungssport identifizieren wollten und nach exotischen Alternativen suchen.
Sportliches Karate als Ziel
Zwar erteilte Lehmann all jenen, die es zu exotisch wollten, gleich eine Absage: „ Unser Ziel ist sportliches Karate“, sagte der DJV-Chef doch bezog sich seine Aussage in erster Linie auf die Schaffung der notwendigen Graduierungsordnungen, Klassifizierungen, Wettkampfbestimmungen. Eine einheitliche Lehrmeinung müsse gefunden werden, forderte Lehmann in Kenntnis der oft heftig streitenden diversen Richtungen in internationalen Verbänden, später wurde ein eigenes Karate-Lehrbuch in der DDR erscheinen.
Der zweite, bedeutungsvolle Aspekt war die mögliche Konsequenz der DTSB-Maßnahme für den internationalen Kampfsport. Karate war außer Judo die EINZIGE Kampfsportart, die damals in der DDR offiziell betrieben wurde. Auch in anderen sozialistischen Ländern spielte Karate längst eine gewisse Rolle. Zur Begründung der Entscheidung sagte Lehmann: „Karate hat in den letzten Jahren international zunehmende Verbreitung gefunden.“ Und er nannte Karate „eine attraktive Sportart“. Man musste diese Aussagen vor dem Hintergrund der Überlegungen im IOC verstehen, möglicherweise einer weiteren fernöstlichen Kampfkunst den Weg ins Olympische Programm zu bahnen. Ein damals verstärktes Engagement sozialistischer Länder im Karate hätte das Ende der Hoffnungen im Lager der Taekwondo in bedeuten können. Schon lange war bekannt, dass gerade auf dieser Ebene die Nachteile des Taekwondo lagen: Die WTF als bestimmet der Weltverband hatte ihren Sitz in Seoul, die Konkurrenz der ITF saß ausgerechnet in Pjöngjang (Nordkorea) — was für die befreundeten sozialistischen Länder einige Probieren bei der Hinwendung zum Takwondo bedeutete.
Dann Ende 1989 gab die DDR ihre Kandidatur für die Olympischen Spiele 2004 bekannt. Die Spiele sollten, so die DDR den Zuschlag erhält, in Leipzig stattfinde. Auf den ersten Blick schien diese Meldung nicht zur ersten zu passen. Auf den zweiten schon. Wenn Spiele in der DDR statt gefunden hätten, so währe die DDR in allen Sportarten gestartet. Billiger als zuhause es nirgendwo.
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