Keinem sind die Schwierigkeiten und Ohnmächten heutiger Pädagogik und Reformpädagogik verborgen geblieben: „Null Bock“ -und „No Future“-Generation, Schul-rowdytum, steigende Schülerselbstmorde, zunehmendes Leistungsversagen infolge Konzentrationsstörungen und Nervosität usw., usw.
Der Kinderarzt sieht häufig diese Früchte missglückter Pädagogik und einer Elternerziehung, die schon in der frühen Kindheit die Wurzeln späteren Übels setzt: schnelles Abfüttern mit Flaschennahrung, inkonsequente Erziehung im Sinne des alles Erlaubens oder der Überfürsorge, selbst geschaffener Stress durch Wohlstandszwang, z. B. Häuserbau, unter dem die schwächsten Mitglieder – die Kinder – am meisten zu leiden haben.
Karate als Erziehung und Sicherheit
Will man nun nicht vor diesen Schwierigkeiten kapitulieren oder gleich bei einer erneuten Reform unserer heutigen Gesellschaft oder sogar des Menschseins überhaupt beginnen, so sieht sich der mitleidende Kinderarzt nach hilfreichen Angeboten um, Kindern und Jugendlichen nicht nur theoretisch zu helfen.

Also z. B. Karate! „Ist denn das etwas für Kinder?“, höre ich meist‘ die Eltern fragen, oder sogar: „Wird mein Kind da nicht zum Schlagen erzogen?“ Wieso also Karate?
Karate ist ein Weg, zu sich selbst zu finden. Dazu gehört eine Offenheit, mit nichts als nur mit sich selbst anzufangen, einer Gabe, wie sie gerade dem Kind völlig natürlich ist.
Wer kennt nicht aus eigener Anschauung die Fähigkeit des Kindes, mit quasi nichts (wie Wasser, Erde, Steine) eine Welt zu schaffen.
Karate die leere Hand
Karate heißt soviel wie „leere (oder nackte) Hand“. Der Karateka ist ursprünglich der schwache Mensch, der aus sich selbst eine Kraft schafft, gegen die scheinbar Mächtigen zu bestehen. Es ist die Entdeckung, dass im Menschen selbst ein Reichtum steckt, gegenüber dem der Reichtum samt Waffen der Mächtigen nur ein Schein, ein Popanz ist.
Kindern diese Entdeckung zu zeigen und lebbar zu machen, tut in unserer heutigen Zeit mehr den je Not. Kaum ein Erwachsener, der sich nicht hinter Amt und Würden, Sachzwängen, Weltanschauungen, sogar Krankheiten versteckt. Wie soll da Kindern eine lebenswerte Welt, eine Ahnung von gelungenem Menschsein aufgehen? Natürlich ist diese Wurzel des Karate leider vielen Karateschulen selbst verlorengegangen.
Daher die Verantwortung des Karatelehrers, dessen wahre Meisterschaft sich nicht im Lehren einer Kampftechnik, sondern im Lebendig werden eines sinnvollen Menschlichen Entwurfs zeigt. Jedes Phänomen – so auch Karate – ist in seinem höchsten Anspruch zu sehen, oder man schreibt viel über Karate und geht doch am eigentlichen Phänomen vorbei.
Der Weg von Karate

Kinder gehen gerne einen Weg mit, wenn es spannend zugeht und es etwas zu entdecken gibt. Der Karate-Weg lässt sie ihren Körper, ihre Sinne neu und reicher entdecken: Muskeln, die vorher nur faul und träge mitmachten, Anhang waren, werden jetzt gespürt und gebraucht, keiner ist unwichtig. Aus Entspannung wird plötzlich Spannung, aus Ruhe Dynamik, Muskelgruppen spielen zusammen, üben Kombinationen, stimmen sich ab in schlafwandlerischer Koordination, während Augen und Ohren hellwach sich selbst, Gegner und Umgebung kontrollieren. Rhythmisch begleiten Ein- und Ausatmung zunächst bewusst, dann wie von selbst, jede Bewegung.
Auf das „wie von selbst“ kommt es an. Kinder lernen es noch spielerisch, ihre Bewegungsfreude und Phantasie lassen sie im Nu ansprechen auf die Grundweisen des Karate, deren Lehrmeister wohl ursprünglich die Natur war: die geschmeidigen Bewegungen und die Wachsamkeit der Tiere, die Explosivität des Blitzes, die Härte des Steines, die unermüdliche Kraft des Wassers, das Atmen des Windes, die Spannung des Bambus, die Ruhe des Teiches, der seine Umgebung widerspiegelt.
Vertrauen und Selbstbewusstsein durch Karate
Das einzelne Kind gewinnt neues Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten, wird wachsamer, konzentrierter, wagt sich offen in einen Vergleich mit anderen, entwickelt ein besseres Selbstwertgefühl, lernt seine Motorik feiner zu koordinieren. Seine natürliche Aggressivität wird nicht zerstörerisch ausgetobt oder unterdrückt, sondern so kanalisiert, dass sie ihm dien bar wird, sich selbst in der Gewalt zu haben.

Wesentlich für dieses Können ist das Erleben der Verantwortung und Achtung vor dem Gegner, der mit aufgenommen ist in eine gemeinsame Welt, in der die Fähigkeiten jedes Einzelnen gefördert und seine jeweilige Möglichkeit respektiert wird.
Deshalb der Gruß mit Verbeugung vor dem Gegner; ja bereits vor Eintritt in den Dojo (Übungsraum) wird die eigene Welt (der Geist) des Karate durch Verbeugung und Gruß geachtet, aufgerufen, ausdrücklich bestätigt.
Ein beliebter Ausdruck wie „adäquates Sozialverhalten“ trifft bereits schon nicht mehr dieses höhere Phänomen. Kinder mit Konzentrations- und Selbstwertstörungen, ungezügelter Aggressivität, Gehemmt sein durch zu enge Mutterbindung oder Kontaktarmut, depressiven Grundstimmungen, leichten motorischen Koordinationsstörungen können sich durch Karate wieder aus den Verzerrungen ihres Kindseins befreien. Wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Persönlichkeit des Karatemeisters.
Seine Verantwortung liegt nicht nur in der Berücksichtigung der kindlichen Physis – Kinder zeigen meist von selbst an, ob sie noch Lust an einer Übung haben oder nicht – sondern in dem allmählichen Erfahren lassen, dass Karate über alle Kampftechnik hinaus ein Lebensmodell des Menschlichen ist.
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