Japanische Kinder im Kendo

Eine jener Budodisziplinen mit der größten japanischen Tradition verkörpert zweifelsohne das Kendo, denn Kendo ist gewissermaßen eine Budo-Erscheinung der japanischen Gesellschaftsstruktur als solche.

Heute ist diese Disziplin, welche früher die tödliche Auseinandersetzung mit dem Nihonto (Schwert) beinhaltete, in Japan eine auf dem Freizeit, Schul- und Universitätssektor angesehene Budodisziplin. Neben den sportlichen Aspekten beinhaltet das Kendo in Japan auch eine gewisse Traditionspflege. Diese Traditionspflege ist es auch, welche das Kendo bis auf den heutigen Tag weiterentwickelte, wobei der Begriff „Kendo“ erstmals am Ende der Meiji-Periode auftauchte, was einherging mit dem Verständnis des Kendo als Erziehungsmethode. Nun wurde und wird in Japan der Begriff „Tradition“ seit jeher groß geschrieben, wobei dies auch immer in Verbindung mit der Erziehungsmethode stand, womit die Verbindung zum Kinder-Kendo bereits vorprogrammiert ist. Dies um so mehr, da diese Budodisziplin in Japan ein hohes soziales Ansehen genießt und somit auch entsprechend von der japanischen Elternschaft reflektiert wird. Wen verwundert es da, dass das Kendo nicht nur in der japanischen Freizeitbetätigung, sondern auch im japanischen Schulsport anzutreffen ist.

Natürlich genießt das Kendo beim japanischen Kulturministerium das Privileg, als Leibeserziehung betrachtet zu werden. Vom dortigen Kulturministerium gibt es demzufolge auch Richtlinien für das Kendo im Schulsport.

Diese lauten:

I. Richtlinien zur physischen Entwicklung

a) Ehtwicklung der Körperkraft, sowie der Schnelligkeit und der Geschicklichkeit

b) Erlangung korrekter Körperhaltung

II. Soziales Verhalten

  1. Förderung der Entschlussfähigkeit und der Konzentration
  2. Entwicklung der Selbständigkeit und des Verantwortungsbewusstseins
  3. Respektierung und Achtung der Mitmenschen und der Zeremonien.

Betrachtet man all diese Punkte näher, so fällt einem im Unterschied zu westlichen Zielsetzungen im Sport besonders der Punkt der „Entschlussfähigkeit“ und der Würdigung der Zeremonien ins Auge. Bei der Integrierung der Zeremonien ist der Unterschied zu westlicher sportlicher Betätigung ganz deutlich.

Budo Kendo

Sicherlich handelt es sich hierbei auch um japanische Traditionspflege, aber es ist mehr als das. Gemeint ist u. a. auch das besondere Lehrer-Schüler-Verhältnis, was im japanischen Kinder-Kendo nicht zu vergleichen ist mit einer westlichen Trainer-Schüler-Beziehung, da dieses Verhältnis in Japan ebenfalls innerhalb des Zeremoniellen integriert ist. Zudem besitzt dieses besondere Verhältnis auch darüber hinaus seine Gültigkeit im japanischen Alltag. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum westlichen Sport und vor allem zum westlichen Kindersport, welcher durch eine gewisse Hierarchie, die allen japanischen Budo-Disziplinen eigen ist, weitere Abgrenzung erfährt. So lernt das japanische Kind im Kinderkendo neben dem Verständnis technischer Abläufe auch die Respektierung verschiedener Gruppenstrukturen innerhalb der Gruppe, deren Oberautorität der Sensei (Lehrer) ist. In der Neuzeit ist Kendo sicherlich auch ein Sport, der sogar Weltmeisterschaften beinhaltet, gleichzeitig kommt es in Japan aber sicherlich auch heute noch der vorgenannten Zielsetzung entgegen.

Kihaku

Mit der Entschlussfähigkeit wird eine weitere typisch japanische Komponente im Unterricht angestrebt. Gemeint ist die Entschlossenheit, eine Sache in einem bestimmten Moment mit ganzem Einsatz zu tun.

Japan Kendo

Die Entschlossenheit des Momentes, aber auch die Entschlossenheit, mit größter Anspannung sein Ziel zu verfolgen. Bei dieser Kraft spricht der Japaner von „Kl“. Ohne geistige Kraft, so der Japaner, ist auch eine starke körperliche Leistung losgelöst vom Ganzen und letztlich nicht stark genug. Geschieht etwas mit einer Willenskraft, die bis in die Haarwurzeln reicht, so spricht der Japaner von „Kl-HAKU“. Jemand, der über ein starkes „Kl“ verfügt, habe oftmals gewonnen, bevor der Kampf überhaupt begonnen, heißt es. All dies sind Aspekte, die dem westlichen Schulsport fremd sind und in Japan u. a. mit der Schulung der Entschlußfähigkeit auch über die Budobetätigung hinaus wirken sollen.

Unterschiede zu Europa

Einem westlichen Betrachter wird beim Kinder-Training in Japan sofort auffallen, dass vor diesem Hintergrund, sowie der Hierarchie, den Traditionen und Riten der spielerische Aspekt im Gegensatz zu europäischen Kindersportbetätigungen beinahe gänzlich fehlt. Der europäische Betrachter wird in Japan feststellen, dass die Kinder dort mit der ganzen Ernsthaftigkeit einer Budodisziplin konfrontiert sind. Das Putzen des Dojos vor und nach dem Training, welches ebenfalls von den Kindern zu machen ist, ist dabei nur ein vordergründiger Kontrast zum Westen, wo man sich kaum vorzustellen vermag, dass Schulkinder vor ihrer sportlichen Betätigung die Sporthalle wischen und dies nach Abschluss des Trainings erneut tun. Nein, die Ernsthaftigkeit des Kinder-Budosportes in Japan ist größer und weitaus tiefgründiger, wobei für spielerische Elemente, wie gesagt, nur sehr wenig Raum ist.

Kendo Bergedorf

Gerade vor diesem Hintergrund ist man verwundert, wie voll die Dojos zu den Kinder-Trainingszeiten dennoch sind. Der Grund ist einfach. – In Japan werden die Kinder von den Eltern zum Training geschickt. Dort geht es nicht nach Lust und Laune, sondern nach dem Wunsch der Eltern und den Ansprüchen des Dojos. In der Regel besuchen die Kinder das Dojo 3mal wöchentlich, wobei es nur äußerst selten vorkommt, dass einmal ein Kind nicht zum Training erscheint. Sollte dies einmal der Fall sein, so kann davon ausgegangen werden, dass dem Nichterscheinen ein Krankheitsfall zugrunde liegt, denn wie gesagt – es geht nicht nach Lust und Laune, und Gründe, wie schönes Wetter oder Muskelkater sind schon gar kein Anlass, das Training zu versäumen.

So diszipliniert und ernsthaft die Kinder im Dojo sind, so ausgelassen sind sie außerhalb des Trainings. Hier stehen sie westlichen Kindern in nichts nach und das, obwohl sie vom Elternhaus und im Dojo mit der gesamten Thematik und vor allem Ernsthaftigkeit der Budodisziplin konfrontiert sind. Der Grund ist einfach: In ihrer tatsächlichen Freizeit genießen japanische Kinder in beinahe allen Bereichen geradezu Narrenfreiheit, Kompensation auf japanisch. Eine Synthese, die sich im japanischen Erziehungssystem bestens bewährt hat, aber sicherlich nicht unreflektiert auf den Westen übertragbar ist, denn in Japan ist halt manches nur auf das Land der aufgehenden Sonne zugeschnitten. Man muss hier nicht Position beziehen, sondern Unterschiede als Ergänzung betrachten.

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