Das griechische Pankration, eine unbarmherzige vorchristliche Form des totalen Kampfes, kann uneingeschränkt als die erste martial art in der Alten Welt bezeichnet werden. Läßt dies den Schluß zu, daß die Wiege der martial arts in Europa stand?
Seit Jahrhunderten haben Historiker und Wissenschaftler ohne Erfolg versucht, den genauen Ursprung der martial arts and den Zeitpunkt ihrer ersten Ausübung festzustellen. Nachdem zuverlässige Unterlagen nicht zur Verfügung stehen, ist es praktisch unmöglich, die tatsächlichen Ursprünge und Zusammenhänge zu bestimmen. Indien und China wurden oft als die Länder genannt, in denen zahlreiche Kampfkünste den Nährboden für ihre spätere Blüte fanden. Während einige dieser Künste in der Tat in China begründet wurden, ist es unwahrscheinlich, dass wir ihre Entwicklung allein dem chinesischen Genius zu verdanken haben. Man weiß, dass einige dieser Künste von Menschen anderer Länder mit nach China gebracht wurden und nach einigen Jahrhunderten der Ausübung so sinologisiert waren, dass man ihnen heute einen chinesischen Ursprung zuschreibt. Es ist durchaus möglich, das einige Formen dieses waffenlosen Kampfes aus Europa stammen und in die chinesische Kultur integriert wurden. Sollte diese Hypothese den Tatsachen entsprechen, dann wäre die in Frage kommende Kampfkunst wohl das griechische Pankration.

Nach der am häufigsten zu hörenden chronologischen Theorie entstand eine bestimmte Form des Kung-Fu vor ungefähr fünftausend Jahren unter der Herrschaft des oft mythologisierten Kaisers Huang-ti. Den ersten Hinweis auf das Vorhandensein einer nicht klar beschriebenen Kampfkunst finden wir im Han Shu, einem Werk über die Geschichte der Han Dynastie (209 v. Chr. bis 24 n. Chr.).
Aber der frühe Zeitpunkt, der im Zusammenhang mit dem Entstehen dieser namenlosen Kunst genannt wird, liegt zu weit im Dunkel der Geschichte, als dass er überzeugen könnte. Mit Ausnahme der Feststellung, dass eine dem Kung-Fu irgendwie verwandte martial art sehr früh in China entstanden ist, lässt sich über den Ursprung keine weitere definitive Aussage machen.
Michael Stapels, der amerikanische Kung-Fu Experte und Historiker, nennt den berühmten chinesischen Arzt Hua-T’o (265-190 v. Chr.) als die erste bekannte Quelle, die man mit Kung-Fu in Verbindung bringen kann. „Unmittelbar vor dem Aufkommen des Buddhismus”, schreibt Stapels, „legte Hua-T’o den Grundstein für die im Süden bekannten longhand Techniken des Kung-Fu. Körperhaltungen von Tieren standen Modell bei der Entwicklung seiner psychischen und physischen Übungen. In Verbindung mit taoistischen Atemtechniken entwickelte Hua-T’o eine Reihe von Übungen, die er Wu-Ch’in-Hsi (die Posse für fünf Tiere) nannte.”
Die gesamte Macht
Wörtlich übersetzt bedeutet Pankration „die gesamte Macht”. Es handelt sich um eine antike Kampfkunst, bei der alle physischen und psychischen Kräfte – Hände und Füße, Geist und Seele – in einen totalen Kampf eingebracht werden. Pankration entstand in Griechenland aus einer Verschmelzung von verschiedenen Richtungen des einheimischen Box- und Ringkampfes, die man bereits seit langem kannte. Als erster konkreter Beweis für das Bestehen dieser Kampfkunst kann das Jahr 648 v. Chr. angesehen werden. In diesem Jahr, also 838 Jahre bevor Hua-T’o geboren wurde, wurde Pankration in das Programm der Olympischen Spiele aufgenommen.

Im englischen Sprachraum gilt das Buch Athletics of the Ancient World, geschrieben von E. Norman Gardiner und erschienen bei Oxford University Press 1930 in England, als die beste Informationsquelle. Das Buch basiert auf einem früheren Werk von Gardiner, Greek Athletics Sports and Festivals, das 1910 veröffentlicht wurde. Gardiner gibt sich nicht mit Hypothesen zufrieden, sondern untermauert seine Ausführungen durch Fotos und Illustrationen antiker Vasen und Gemälde, auf denen griechische Krieger in einer Art Turnierkampf dargestellt werden. Weiterhin bringt Gardiner Zitate aus den Werken berühmter Philosophen und Dichter des antiken Griechenlands.
Wenn man die in den Büchern von Gardiner enthaltenen Tatsachen mit den uns über Kung-Fu verfügbaren Informationen vergleicht, dann kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass Pankration eine der ersten, wenn nicht sogar die erste martial art war. Dies würde auch die neue Theorie untermauern, dass die martial arts nicht in Asien, sondern in Europa entstanden sind.
Andere Historiker geben sich damit zufrieden, den Ursprung der martial arts auf das indische Vajramushti-System zurückzuführen, da weitere Untersuchungen durch die fehlenden konkreten Hinweise praktisch unmöglich gemacht werden. Eine Tatsache sollte man jedoch nicht vergessen. Pankration und die Pyrrhiche, ein frühgriechischer Waffentanz, sind weitaus älter als die indischen Statuen, auf denen Tempelwächter in Körperhaltungen dargestellt werden, die den Positionen ähneln, die bei den in der Folgezeit bekannten Kampfkünsten eingenommen wurden.
Nach der Legende ist Vajramushti eine Form des unbewaffneten Hand- und Fußkampfes, der in Indien vor dem Jahr 1000 v. Chr. bestand. Obwohl es für die Existenz dieses Kampfes kaum konkrete Anhaltspunkte gibt, schreibt man den Kshatriya, den Kriegern dieser Zeit, eine Kampftechnik zu, bei der die geschlossene Faust als Waffe eingesetzt wurde. Es gibt verschiedene Statuen, deren Ursprung bis in das erste Jahrhundert v. Chr. zurückreicht und auf denen Tempelwächter in Körperhaltungen dargestellt werden, die mit den Körperpositionen im Karate auf eine eigenartige Weise identisch sind. Es sind diese Statuen und die geringen Kenntnisse, die wir über Vajramushti besitzen, die zu der Annahme verleiten, dass der Ursprung der martial arts in Indien liegt.
Der griechische Waffentanz
Wir werden jedoch sehen, dass es so viele Beweise für die Existenz von Pankration und Pyrrhiche gibt, deren Überzeugungskraft nur wenig Raum für Spekulationen lässt. Und diese Künste gab es schon mehrere Jahrhunderte bevor die indischen Statuen geschaffen wurden.

Die Pyrrhiche wird in der folgenden Passage aus den Gesetzen des großen Philosophen Plato (ungefähr 427-347 v. Chr.) erwähnt: „Der Waffentanz hat einen ganz unterschiedlichen Charakter und muss richtig als Pyrrhiche bezeichnet werden. Der Tanz basiert auf Bewegungen zum Ausweichen von Schlägen und Stößen durch Körperreaktionen, wie seitlich ausweichen, zurückweichen, springen oder ducken. Bei den entgegengesetzten Bewegungen wird eine Angriffshaltung eingenommen und das Abschießen von Pfeilen, das Werfen von Speeren und das Ausführen aller möglichen Schläge versinnbildlicht. Die aufrechte und selbstbewußte Körperhaltung, die einen gesunden Körper und Geist darstellt und bei der nahezu alle Gliedmaßen des Körpers angespannt sind, steht bei diesen Tänzen für das Gute im Menschen.“ Gardiner zeigt aber noch mehr auf. „Die griechische Tanzkunst stand in einer engen Verbindung zur Religion”, schreibt er, „und war Bestandteil aller religiösen Feste und Prozessionen. Der Tanz umfaßte alle Aspekte der darstellenden Künste und jeder Teil des Körpers wurde einbezogen. Bei einigen Tänzen waren die sportlichen oder militärischen Akzente besonders stark ausgeprägt. Im Gymnastikzentrum in Sparta war das Ziel der Tänzer die Darstellung aller Bewegungsabläufe beim Ringen.
Die Pyrrhiche war eine Versinnbildlichung des Krieges. Mit Schilden und Speeren bewaffnete Tänzer stellten alle Phasen von Angriff und Verteidigung dar, das Werfen von Speeren, Körperattacken, Ausweichen zur Seite, Niederkauern oder Springen, um von Wurfgeschossen nicht getroffen zu werden.”
Wenn man von den Beschreibungen von Plato und Gardiner ausgeht, dann wird klar, dass diese Tänze sowohl mit Waffen als auch ohne Waffen vorgetragen wurden. So können sie sehr gut die Vorläufer des modernen Karate Kata oder auch der Kuens (Formen) gewesen sein, die heute beim Kung-Fu praktiziert werden.
Kampfsport in der Antike
Die Entwicklung des Sports in der Antike wurde durch griechische Sportler bestimmt. Soweit wir es überblicken können, war Griechenland die einzige wirkliche Sportnation in der Antike. Ihm verdanken wir in der Tat das Wort „Athlet” und die Ideale, die durch diesen Begriff zum Ausdruck gebracht werden. Dies bedeutet andererseits nicht, dass die Griechen die verschiedenen Disziplinen und Spiele erfunden haben, die wir heute als Sport bezeichnen. Laufen, Springen, Werfen verschiedener Gegenstände und die unterschiedlichen Richtungen des Faustkampfes waren Bestandteil der sportlichen Betätigung, die wir bei allen Rassen feststellen können. Eines ist jedoch klar. Die ersten Übungen, auf die das Attribut ‘athletisch’ ohne Übertreibung zutrifft, standen in einem engen Zusammenhang mit der militärischen Ausbildung und implizierten Formen des Kampfes. Die These, dass die Liebe zum Kampf aus der Liebe zum Wettbewerb geboren wurde, ist daher eine logische Schlussfolgerung.

Das erste und größte nationale Sportfest in Griechenland waren die Olympischen Spiele, die 776 v. Chr. zum ersten Mal in Olympia durchgeführt wurden. Von diesem Zeitpunkt an fanden die Spiele alle vier Jahre bis 393 n. Chr. statt. Als ersten Olympiasieger im Boxen verzeichnen die Annalen Olympias Ono-mastus von Smyrna, der diese Disziplin 668 v. Chr. gewann. Von ihm sagt man, dass er die Boxregeln für die Olympischen Spiele der Antike aufstellte. Wie bereits erwähnt, wurde 648 v. Chr. Pankration, ebenso wie die Pferderennen, in das Programm der Olympischen Spiele aufgenommen. Im zweiten Jahrhundert v. Chr. kam eine Unterdisziplin, Pankration für Jungen, hinzu, was die ungeheure Popularität dieser Sportart verdeutlicht.
Pankration mit strengen Regeln
Pankration war die Weiterentwicklung des primitiven Kampfes, der keine Regeln kannte. Das Ziel war es, wie beim Boxen, den Gegner zur Anerkennung seiner Niederlage zu zwingen und dabei waren fast alle Mittel erlaubt. Auf den ersten Blick mögen solche Kämpfe barbarisch und brutal erscheinen. Sie wurden jedoch nach strengen Regeln durchgeführt. Wurden sie nicht eingehalten, waren Trainer oder Kampfrichter mit Stöcken oder Ruten zur Stelle. Da die Regeln oft gebrochen wurden, kann der Schluss gezogen werden, dass viele Kämpfer offensichtlich lieber einen Rutenhieb einsteckten, als sich der Gefahr eines Umgebrachtwerdens auszusetzen.
In den Augen der Griechen war Pankration ein Wettbewerb, der nicht nur Ausdauer, sondern auch große Fertigkeiten erforderte. Bei Gardiner lesen wir „von den modernen Kampfkünsten kommt wohl Jiu-Jitsu dem Pankration am nächsten, denn es stellt die am weitesten entwickelte Form der Selbstverteidigung dar.” Man sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass 1910, als Gardiner sein erstes Werk verfasste, viele der asiatischen Kampfkünste außerhalb des Fernen Ostens unbekannt waren. Die Tatsache, dass er Jiu-Jitsu kannte, zeigt, über welches große Wissen er auf diesem Sektor verfügte. „Alles was beim Pankration erlaubt war, ist auch heute beim Jiu-Jitsu erlaubt”, fährt er fort. „Manchmal gab es wohl ernsthafte Verletzungen und tödliche Unfälle. Sie waren aber selten, seltener vermutlich als bei dem griechischen Faustkampf in der Antike.

Die beste Schilderung des Pankration finden wir bei Philostratus in seiner Schilderung des Todes von Arrhichion, dem berühmten Pankra-tiasten, der gerade in dem Moment verstarb als sein Gegner seine Niederlage akzeptierte. Obwohl er tot war, erhielt Arrhichion die Siegerkrone. „Pankratiasten”, schrieb Philostratus, „praktizieren eine gefährliche Form des Ringens. Sie müssen Überwürfe anwenden, die für einen Ringer nicht ungefährlich sind, sowie Griffe, bei denen der Sieg im Fallen erreicht werden muss. Sie müssen es auch verstehen, dem Gegner die Luft wegzunehmen oder sein Fußgelenk oder seinen Arm zu verdrehen. Daneben müssen sie ihn mit der Hand treffen und sich auf ihn werfen. Alle diese Praktiken sind beim Pankration erlaubt, nur Beißen und Einkrallen ist verboten. Bei den Spartanern sind sogar diese Praktiken erlaubt, während sie bei den Eleanern und den Regeln für die Kämpfe nicht vorgesehen sind. Der Versuch, den Gegner in Atemnot zu bringen, ist jedoch zugelassen.”
Verbotene Technik
Das Verbot des Beißens und Einkrallens war offensichtlich in den Regeln vorgesehen. Es wird zweimal von Aristophanes zitiert. Beißen spricht für sich selbst und die Bedeutung des ‘Einkrallens’ oder ‘Quetschens’ wird bei Aristophanes deutlich.
Hier bezieht man sich auf das Einkrallen oder Eingraben der Hände oder Finger in die Augen, in die Nase, in den Mund oder in andere empfindliche Teile des Körpers. Besonders klar geht dies aus der beigefügten Abbildung hervor. Hier hat ein Pankratiast seinen Daumen und Finger in das Auge seines Gegners gedrückt. Ein Kampfrichter eilt mit gezogenem Stock herbei, um diese Verletzung der Regeln zu ahnden. Eine ähnliche Szene ist auf einer anderen Abbildung zu sehen, auf der ein Pankratiast seine Hand in den Mund des gestürzten Gegners drückt.
Die Körperhaltung der Pankratia-sten unmittelbar vor Aufnahme des Kampfes entspricht im wesentlichen der Position, die von Ringern in der gleichen Situation eingenommen wird. Ziel der Pankratiasten ist es, den Gegner durch Ringen, Schlagen, Stoßen oder Fussfeger zu Boden zu werfen. Bevor die Gegner zu einem entscheidenden Angriff ansetzen, erfolgt erst ein längeres Abtasten. Die Hände werden nicht geschützt. Wie es bei solchen Fights natürlich ist, wird mit der flachen Hand gekämpft, obwohl Schläge auch mit der geschlossenen Faust ausgeführt werden. Sandalen werden nicht getragen, die Füße bleiben nackt.
Auf der Abbildung IV wird ein Pankration-Kampf realistischer dargestellt. Der zu Boden geschleuderte Kämpfer blutet hier heftig aus der Nase und der Abdruck der blutverschmierten Hand seines Gegners ist auf seinem Rücken zu sehen. Sein Gegner ist auf ihn gesprungen, hat einen Arm mit der linken Hand gepackt und versucht vermutlich, ihn mit der rechten erhobenen Hand vollends k.o. zu schlagen. Wie bei dem antiken griechischen Boxkampf, so gab es auch beim Pankration keine Regeln, die einen Kämpfer daran gehindert hätten, auf seinen am Boden liegenden Gegner einzuschlagen. Allgemein galt der Grundsatz, dass der Kampf am Boden entschieden wurde.
Faustkampf und Ringkampf
Von den einzelnen Kämpfern hing es ab, ob der Faustkampf oder der Ringkampf beim Pankration dominierte. Ein großer Mann mit einer langen Reichweite verließ sich natürlich in erster Linie auf seine Faust, während ein kleiner und gedrungener Kämpfer dem Ringen den Vorzug gab. Auf den Abbildungen V und VI sehen wir, wie Boxen und Ringen kombiniert wurde. Ein Pankratiast hat den Kopf seines Gegners in den Schwitzkasten genommen und kann ihn nun nach Belieben traktieren. Auf der Abbildung VII versucht ein großer Kämpfer seinen Gegner mit einem Sprung entscheidend zu treffen, nachdem er zuvor offensichtlich einen Vorderkick abgefeuert hatte, der von seinem Gegner aber abgefangen oder blockiert wurde.
Kicking war ein essentieller Bestandteil des Pankration. Bei Theocritus fragt Polydeuces, der von Amycus herausgefordert wurde, ob es ein Boxkampf werden solle oder ob auch Kickboxen erlaubt sei. Galen, der große griechische Arzt, vergibt in seiner Satire über die Olympischen Spiele den höchsten Preis im Pankration an Bayer, den er den „Esel” nennt. Von allen Tieren kann der Esel am besten ausschlagen. Zweifelsohne wurde Bayer aufgrund seiner überragenden Kick-Stärke von Galen mit diesem ‘Kosenamen’ bedacht.
Kicks in den Magen waren eine populäre Technik, vor allem als Auftakt oder Teil eines wirksamen Überwurfes. Das Wort ‘hasardisch’, mit dem Philostratus das Ringen beim Pankration beschreibt, trifft uneingeschränkt auf Überwürfe wie die „fliegende Stute” und verschiedene Fuß- und Beingriffe zu, die für den echten Ringkampf zu gefährlich, beim Pankration ohne Einschränkung erlaubt waren, denn hier reichte ein einfacher Überwurf nicht aus. Man musste den Gegner vollständig zu Boden schleudern.
Ein Ringer, der zu Boden geworfen worden war, hatte den Kampf verloren. Ein Pankratiast konnte sich hingegen absichtlich auf den Boden werfen, um seinen Gegner um so wirkungsvoller durch die Luft schleudern zu können oder um selbst in eine strategisch günstige Position zu kommen. Ein Manöver dieser Art wurde als „Fersentrick” bezeichnet und ein Athlet aus Ciiicia kam mit ihm zu besonderem Ruhm. Später wurden diese Techniken in das Judo aufgenommen und werden nun als „Aufgabe”-Würfe bezeichnet. Es gibt wohl keinen uns bekannten Zusammenhang, aber vielleicht war der Fersentrick doch der Vorläufer der Aufgabe-Würfe? Diese Hypothese ist möglicherweise gar nicht so falsch, denn die Pankratiasten kannten mehr als eine Version der Aufgabetechnik.
Dann gibt es den Überwurf mit Hilfe eines Magenstoßes wie wir ihn in unserer modernen Zeit häufig im Film oder im Fernsehen erleben. In der Antike packte der Pankratiast seinen Gegner bei den Schultern oder Armen, warf sich nach rückwärts und indem er seinen Fuß gleichzeitig in den Magen seines Gegners stieß, warf er ihn mit voller Kraft über seinen Kopf. Diese Technik, die später mit Vorliebe von den Judoka praktiziert wurde, wird auch auf dem Mausoleum von Beni-Hassan dargestellt. Dies lässt die Annahme zu, dass man diese Technik bereits im Alten Ägypten kannte. Griffe, mit denen der Gegner in den Schwitzkasten genommen wurde, waren für Pankration genauso typisch wie heute für Jiu-Jitsu. Sie dienen dem gleichen Zweck – den Gegner zur Aufgabe zu zwingen. Gelegenheiten zur Anwendung dieser Griffe gab es häufiger, wenn einer der beiden Kämpfer am Boden lag. Hier wurde der Kampf auch in der Regel entschieden.
Würgegriffe im Sport
Besonders die Eleaner empfahlen Würgegriffe, um einen Gegner zu besiegen. Dies ist eine weitere Parallele zu Jiu-Jitsu. Die Japaner praktizieren nicht nur den Griff an die Kehle, sie kennen auch Maßnahmen zur Entwicklung der Nackenmuskeln, um einem solchen Griff widerstehen zu können. Der erfahrene Pankratiast wusste natürlich ganz genau, wann sein Gegner einen Griff angebracht hatte, der eine Verletzungsgefahr für ihn bedeutete. Er gab dann sofort auf, bevor er sich verletzen konnte.
Ein Würgegriff lässt sich praktisch mit jedem Nackengriff erreichen. Am liebsten wandten die Pankratiasten den sogenannten „Leiter-Trick” an. Der Angreifer sprang auf den Rücken seines Gegners, umschlang mit seinen Beinen dessen Körper und mit seinen Armen dessen Nacken. Diese Taktik konnte unabhängig davon angewandt werden, ob die bei den Kämpfer am Boden lagen oder nicht. Der Kampf am Boden war vermutlich genauso lang und kompliziert, wie er beim modernen Ringkampf ist. Manchmal sind die Kämpfer voll ausgestreckt, manchmal liegen sie aufeinander und manchmal kämpfen sie auf den Knien.
Es war dieser Aspekt, der Plato nicht gefiel und ihn dazu veranlasste, Pankration aus seinem Idealstaat zu verbannen. Pankration sei nutzlos für die militärische Ausbildung, da „bei dieser Kampfform Männer den Boden unter ihren Füßen verlieren”. Wie bei den Ringkämpfern unserer Tage, so bestand vielleicht auch bei den Pankratiasten die unbewusste Neigung, die Matte oder besser gesagt den Boden aufzusuchen, um den schweren Schlägen oder Stürzen aus dem Wege zu gehen, die auf sie zukommen konnten, wenn sie noch mit beiden Beinen auf dem Boden standen. Sollte dies zutreffen, werden Puristen sicherlich von einem sportlichen Verfall sprechen. Pindar, der größte Lyriker des fünften Jahrhunderts v. Chr. betonte besonders die Bedeutung des Boxens beim Pankration. Pindar schrieb nicht weniger als acht Oden zu Ehren der Pankratiasten, was für die Popularität des Sports kennzeichnend ist.
Bei Sportarten wie Ringen und Pankration entwickelten sich natürlich unterschiedliche Regeln und Stilrichtungen. Obwohl die großen nationalen Feste im Griechenland der Antike die einheitliche Entwicklung der jeweiligen Sportarten förderten, wurden die Regeln auf örtlicher Ebene zweifelsohne oft unterschiedlich ausgelegt. Als Beispiel für diese Regeln kann eine Inschrift angesehen werden, die vermutlich aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. stammt und die in dem Dorf Fassiller in Pisidia gefunden wurde. Die Inschrift enthält Regeln für einige der im Ort praktizierten Sportarten. Pankratiasten „dürfen sich nicht wie Ringer mit Sand einreiben. Sie dürfen auch nicht ringen, sondern müssen im Stehen kämpfen und versuchen, ihren Gegner mit Schlägen zu treffen.” In anderen Worten, es durfte nicht gerungen oder am Boden gefightet werden. Nur der Kampf mit den bloßen Händen und Füßen war erlaubt. Weiterhin war vorgeschrieben, dass ein Mann, der einen Preis errungen hatte, am gleichen Tag nicht noch einmal antreten durfte, und ein siegreicher Sklave musste ein Viertel seiner Kampfbörse an die anderen Kämpfer abtreten.
Ein weiterer Beweis für den hohen Stellenwert des Pankration geht aus der Tatsache hervor, daß in der griechischen „Ringerschule” ein besonderer Übungssaal für die Pankratiasten zur Verfügung stand. In diesem Korykeion genannten Saal hingen von den Deckenbalken verschiedene Arten von Punchingbällen oder Sandsäcken (Korykos). Der griechische Boxer trainierte mit diesen Punchingbällen genauso wie der Boxer der Neuzeit. Es handelte sich bei den Punchingbällen um einen Sack oder Lederbeutel, der mit Feigensamen, Getreidekörnern oder Sand gefüllt war und der in Höhe des Kopfes des Boxers hing. Ein größerer Ball, wie zum Beispiel ein mit Wein gefüllter Lederball hing bis zu zwei Fuß über dem Boden und wurde in erster Linie von den Pankratiasten für das Kick-Training verwendet.