Die Doppelmesser-Technik wird neben der Langstock-Technik als das höchste (vielleicht sogar das einzige tatsächliche) Geheimnis im Wing Tsun behandelt. Ebenso wie beim Langstock nimmt man an, dass unter Großmeister Yip Man nicht mehr als 4 Personen die berühmte Bart-Cham-Dao-Technik vollständig gelernt haben. Heutzutage behaupten aber nahezu alle Wing-Chun-Lehrer, dass sie die Doppelmesser-Form beherrschen. Leider halten solche Aussagen einer Nachprüfung selten stand.
Die Wing Tsun-Messerkampf-Methode
Obwohl es z. B. in Kung Fu-Filmen Flunderte von bizarr geformten Waffen und die verrücktesten Anwendungen zu sehen gibt, taugen nur wenige Bewegungen wirklich für die Praxis.
Optimistisch geschätzt sind 95% der verbreiteten Waffentechniken nur für Shows und Demonstrationen geeignet. Andernfalls könnten nur acht Sektionen der Bart-Cham-Dao nicht ausreichen, um einen wirksamen Schutz gegen alle denkbaren Angriffe mit Hieb und Stichwaffen zu bieten. Selbstverständlich schließt das die Abwehr gegen Angriffe in jeder Flöhe und aus jedem Winkel ein. Wer die wenigen, aber raffinierten Doppelmesser-Techniken und -Kombinationen meistert, braucht sich nicht mehr vor Angriffen mit Hieb und Stichwaffen zu fürchten.
„Lebendige“ Bewegungen
Im waffenlosen Wing Tsun und im Langstock-Kampf verwenden wir keine festen Kombinationen, sondern sog. „lebendige“ Bewegungen, die sich direkt durch die Aktion des Gegners verändern und sich dem Angriff anpassen als reflexartige Reaktion, die durch taktile Reize bzw. durch Druck gegen die Waffe ausgelöst werden.

Deshalb gibt es im waffenlosen Wing Tsun (Faustkampf) das Chi-Sao und für den Wing Tsun-Langstock das Chi-Kwan als Trainingsmethode. Dank Chi-Sao und Chi-Kwan („Klebende Arme“ bzw. „Klebender Langstock“) können wir im Faust- und Stockkampf unsere Bewegungen lückenlos und reflexartig auf die Techniken des Gegners einstellen.
Entgegen der Meinung vieler sog. Wing-Chun-Lehrer (mit der Schreibweise „wing chun“ – klein geschrieben – meint man die Gesamtheit aller Stile, die sich vom 1972 verstorbenen Großmeister Yip Man ableiten) gibt es, ja kann es beim Doppelmesser-Kampf kein Chi-Dao („Klebendes Messer“) geben. Viele Wing-Chun-Leh-rer, die nicht wirklich vom Großmeister Yip Man in die Geheimnisse der Doppelmesser eingeweiht worden sind, lehren entsprechend dem Muster der drei Unterrichtsschritte (Form – Gefühlstraining -Kampf) auch eine Art Chi-Dao, ohne zu wissen, dass dieses Konzept durch die spezifische Eigenart von schneidenden Waffen durchbrochen wird.
Keine Chance zum Reagieren
Doppelmesser sind kurze Nahkampfwaffen, und der Druck gegen das kurze Messer reicht für einen praktisch aus nutzbaren Reflex nicht aus. Der Messerkampf ist zu schnell und jede Bewegung, jeder Schnitt führt unmittelbar zur Verstümmelung oder zum Tod, so dass für ein Reagieren nach Messerkontakt bei der Kürze der Messer keine Chance besteht.
Im WT weiß man deshalb, dass es um Leben und Tod geht, sobald die Messer gezogen sind und dass der Kampf nach den ersten zwei Bewegungen entschieden ist.
Standen sich früher zwei Gegner mit gezogenen Doppelmessern im Nahkampf gegenüber, war jeder darauf aus, den anderen schnell zu töten. Zum Wechsel und zur Anpassung an die Technik des Gegners blieb keine Zeit. Wer nur etwas zögerte, war der sichere Verlierer. Deshalb werden z. B. in der 8. Sektion die Bewegungen mit höchster Geschwindigkeit ausgeführt, und es handelt sich dabei um Angriffe und nicht um Abwehren! Wer diese Bewegungen meistert, wird sie im Kampf um Leben und Tod mechanisch anwenden.
Jeder Treffer kann die Entscheidung bringen
Faustkampf hängt unter anderem von Schlagkraft ab, auch im Wing Tsun, wo wir nahezu ausschließlich leicht verletzbare Schwachstellen der menschlichen Anatomie angreifen. Aber selbst in diesem Falle bringt nicht jeder Treffer unmittelbar die Entscheidung. Anders ist es beim Wing Tsun-Doppel-Messer-Kampf. Hier rängt alles von der Geschwindigkeit ab. Jeder Treffer kann die Entscheidung bringen. Bei richtiger Entfernung ist die Klinge überall. Alles, was zählt, ist die Frage, wer zuerst trifft. Es gibt kein Fühlen, keine Änderung. Deshalb sprechen wir im WT auch von ultimativen Messern.

Die Schwäche der Messerkampf-Methode ist die Schwäche, die jede optische Methode aufweisen muss. Aber in der Phase der Ausbildung, in der der Wing Tsun-Kämpfer mit den Messern umgeht, ist er schon so fortgeschritten, dass seine Fähigkeiten der Anteperzeption und der Winkel- und Entfernungsschätzung ihm auch unter diesen widrigen Umständen den Sieg sichern werden.
„Tote“ Technik
Keith R. Kernspecht formulierte diese Besonderheit der Doppelmesser-Technik wie folgt: „Bei den Doppelmesser-Techniken wird das Konzept Form – Chi-Sao – Kampf durchbrochen, so dass man notgedrungen zur ,toten‘ Technik zurückkehren muss.
Kein Zweifel, dass diese mechanischen Kombinationen Lücken und Schwächen aufweisen müssen, da das Frühwarnsystem (aufgrund taktiler Reize) wegfallen muss und man optischen Täuschungen und Finten ausgesetzt ist.
Wirkungsvolle Methode
Diese einzuschleifenden Messerangriffskombinationen stellen aber dennoch die wirkungsvollste Messerkampfmethode dar, die jemals entwickelt wurde. Denn aus dem Wissen um die Schwächen der optisch erkennenden Selbstverteidigungskünste haben Generationen von Meistern den bestmöglichen Kompromiss gewählt, der dem WT-Messerkämpfer Überlegenheit gegenüber anderen Stilen garantiert. Allerdings gilt dies nur unter einer Voraussetzung: Die Bart-Cham-Dao-Techniken und Kombinationen dürfen dem Gegner nicht bekannt sein. Denn da es sich um feste Kombinationen handelt und nicht um gefühlsgelenkte reflexartige Reaktionen, können sie nicht lückenlos sein.

Wer um diese Eigenart der Doppelmesser-Technik weiß, dem wird jetzt auch verständlich werden, weshalb man bei den Messer-Techniken immer noch von Geheimtechniken spricht. Wer das weiß, dem wird bewusst, dass alle Bücher, Filme oder Vorführungen der .Messerform‘ nicht wirklich die wahre Form zeigen. Die wenigen, die die wahre Form kennen, zeigen sie nie oder nur sehr stark verändert.
Im Gegensatz zu den Faustkampf- und Langstock-Techniken, die an Wirksamkeit nichts einbüßen, selbst wenn der Gegner sie kennt, leben die Messer-Techniken davon, dass der Gegner nicht auf sie vorbereitet ist.
Man nennt den Faust- und Langstockkampf im Wing Tsun deshalb ein .System‘, während man den Messerkampf nur die Bezeichnung .Methode‘ zukommen lassen kann.“
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